Volltext: Zeit-Echo (3(1917), 1. und 2. Juliheft)

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die über ihre Wirklichkeit hinausdeutete. Ihr ganzes Wesen ist in ihrem 
Sein begriffen und in ihrer Allgegenwart beschlossen. 
Die Menschheit aber — selbst schon eine Zielerkenntnis, die jede er 
fahrbare Realität mit mächtigem Flügelschlage weit hinter sich läßt — findet 
ihr Wesen und ihren Wert niemals in dem, was sie zu irgend einer be 
stimmten Zeit und in irgend einem Raume ist oder war oder sein wird. 
Sie entdeckt sich vielmehr in einer geistigen Bestimmung ihrer selbst, in 
einer selbstgestellten sittlichen Aufgabe, in deren Erfüllung sie sich ihr 
s Wesen und ihre Würde in jedem Augenblick ihres Daseins zu erwerben 
und zu erschaffen hat. „Nicht, daß ich es schon ergriffen hätte oder schon 
vollendet sei; aber ich jage ihm nach, vielleicht, daß ich es ergreifen werde ... 
was hinter mir liegt, das habe ich vergessen; nach dem, was vor mir steht, 
greife ich aus und jage auf das Ziel zu . ..“ (Paulus). Aus der unerschöpflich 
fließenden Quelle ihres Geistes entspringt der Menschheit der allgemeine Sinn 
ihres Seins, der sie über sich selbst hinausweist und dem sich zu nähern daher 
ihr Wille, sofern er sittlich sein soll, verpflichtet ist. Ihr Wesen ist die Tat. 
Die Natur vermag von ihrem Wesen nichts einzubüßen noch zu ver 
lieren. Denn da ihr Wesen in ihrem Sein beschlossen ist, so würde sie 
durch einen solchen Verlust in der Unendlichkeit ihrer zeitlichen und räum 
lichen Ausdehnungen völlig zunichte werden. Aber die Menschheit, deren 
Sein und Wesen sich erst in ihrer sittlichen Tat vollzieht und wirklich wird, 
sie allerdings kann ihres Wertes und ihrer Würde verlustig gehen, indem 
sie die aus ihrer geistigen Kraft fließende Aufgabe, ihre Idee, in der allein 
sie besteht, preisgibt. Sie vermag in Verschuldung zu fallen, indem sie die 
freien und sehenden Energien ihrer Vernunft und ihres Willens, statt sie 
gegen die Kräfte der Natur zu richten, um diese ihrem höheren Gesetze 
zu unterwerfen, in verbrecherischem Kampfe gegen sich selbst kehrt. Durch 
nichts beweist sich die Freiheit des Willens der Menschheit deutlicher als 
eben dadurch, daß ihr sogar die Freiheit gegeben ist, ihre Freiheit aufzu 
geben; mit anderen Worten: daß es ihr freisteht, ihr wahres Wesen durch 
eine teuflische Lüge in das völlige Gegenteil zu verkehren und ihre geistige 
Bestimmung und ihren sittlichen Ursprung zu verleugnen. 
Das ist es, was die Menschheit von aller Natur grundsätzlich und dauernd 
unterscheidet. Sie allein vermag zu vollbringen, wozu kein anderes Wesen 
befähigt ist, und zwar kraft ihres Geistes: durch Überwindung und Be 
herrschung aller naturhaften Mächte — also auch der in ihr selbst wirk 
samen, die sie an das allgemeine Schicksal der Natur, das Sterben, zu fesseln 
suchen — sich selbst zu befreien und in das unsterbliche Reich des Geistes
	        
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