Volltext: Zeit-Echo (3(1917), August-September)

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ßudvoig ‘Rubiner: 
DIE NEUE SCHAR 
Wir sagen „Europa“. Aber niemand dürfte daraus den Begriff eines 
fest auf die Landkarte gemalten Gebildes hören, das national abgetrennt 
von Asien wäre. Aus Asien, das scheint sicher, wird wohl nach diesem 
Krieg die siegreichste Idee der europäischen Ermüdung Menschlichkeits 
blut zuführen: die Idee der Nicht-Gewalt, des Nicht-Widerstandes, des 
Nicht-Kriegs, der Güte, der Gemeinschaft, und des Gottesreiches auf 
Erden. (Aus Asien, auf dem Zuge durch Rußland.) 
Europa war uns keine ethno-geographische Sache. Europa war eine 
Forderung. Aber wir alle, die wir Europa forderten, glaubten heimlich, 
daß etwas daran schon sei, ein unterirdisches Europa, das unsere Schritte, 
wie auf der Spur nach verborgenen Wasseradern, über die Grenzen weg, 
durch seine Länder hindurch lenke; ein himmlisches Europa noch darüber, 
das unsern Geist fähig und bereit mache, die Brüder zu suchen und zu 
erkennen, und das in uns allen das große Herz der Kameradschaft aller 
Sprachen und Sitten schlagen lasse. Daß diese große, ganz geistige und 
unbesiegbare Welt da sei, glaubten wir. 
Aber eine geistige Welt ist nur so weit da und genau in dem Umfang, 
als sie Menschen aufbringt, die sie vertreten und in ihren Handlungen 
ausdrücken. Und die Größe dieser Welt entspricht genau der Größe ihrer 
menschlichen Handlungen. 
In Wahrheit, ist denn das die Frage, die man einem lebenden Menschen 
stellen darf: Europa oder Asien? Wenn wir befreit von Theatererinnerungen, 
von Roman Vorstellungen, und von historischen Gerüsten an die Zukunft 
der Menschen auf der Erde denken, dann muß die Fragestellung „Europa 
oder Asien“ als irrsinnig erscheinen. 
Noch schlimmer als irrsinnig. 
Geh du zum Mann, der vor dem Sturmangriff steht, vor dem Tod also, 
und frage ihn: Europa oder Asien? Und die Infamie dieser Frage wird 
klar. Aber wie? Den Tod dieses Mannes, den registrierst du kaltblütig 
unter dieselbe geschichtsphilosophische Vorstellung, die niemand im 
Schützengraben aussprechen würde, ohne sich ernstlich zu schämen! 
Denn es handelt sich nicht um Weltteile. Es handelt sich nicht um 
die Ideen von Weltteilen. Weder um die Ideen, die aus jenen Weltteilen 
hervorgehen, noch um die Ideen, die wir uns von ihnen machen.
	        
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