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ßudvoig ‘Rubiner:
DIE NEUE SCHAR
Wir sagen „Europa“. Aber niemand dürfte daraus den Begriff eines
fest auf die Landkarte gemalten Gebildes hören, das national abgetrennt
von Asien wäre. Aus Asien, das scheint sicher, wird wohl nach diesem
Krieg die siegreichste Idee der europäischen Ermüdung Menschlichkeits
blut zuführen: die Idee der Nicht-Gewalt, des Nicht-Widerstandes, des
Nicht-Kriegs, der Güte, der Gemeinschaft, und des Gottesreiches auf
Erden. (Aus Asien, auf dem Zuge durch Rußland.)
Europa war uns keine ethno-geographische Sache. Europa war eine
Forderung. Aber wir alle, die wir Europa forderten, glaubten heimlich,
daß etwas daran schon sei, ein unterirdisches Europa, das unsere Schritte,
wie auf der Spur nach verborgenen Wasseradern, über die Grenzen weg,
durch seine Länder hindurch lenke; ein himmlisches Europa noch darüber,
das unsern Geist fähig und bereit mache, die Brüder zu suchen und zu
erkennen, und das in uns allen das große Herz der Kameradschaft aller
Sprachen und Sitten schlagen lasse. Daß diese große, ganz geistige und
unbesiegbare Welt da sei, glaubten wir.
Aber eine geistige Welt ist nur so weit da und genau in dem Umfang,
als sie Menschen aufbringt, die sie vertreten und in ihren Handlungen
ausdrücken. Und die Größe dieser Welt entspricht genau der Größe ihrer
menschlichen Handlungen.
In Wahrheit, ist denn das die Frage, die man einem lebenden Menschen
stellen darf: Europa oder Asien? Wenn wir befreit von Theatererinnerungen,
von Roman Vorstellungen, und von historischen Gerüsten an die Zukunft
der Menschen auf der Erde denken, dann muß die Fragestellung „Europa
oder Asien“ als irrsinnig erscheinen.
Noch schlimmer als irrsinnig.
Geh du zum Mann, der vor dem Sturmangriff steht, vor dem Tod also,
und frage ihn: Europa oder Asien? Und die Infamie dieser Frage wird
klar. Aber wie? Den Tod dieses Mannes, den registrierst du kaltblütig
unter dieselbe geschichtsphilosophische Vorstellung, die niemand im
Schützengraben aussprechen würde, ohne sich ernstlich zu schämen!
Denn es handelt sich nicht um Weltteile. Es handelt sich nicht um
die Ideen von Weltteilen. Weder um die Ideen, die aus jenen Weltteilen
hervorgehen, noch um die Ideen, die wir uns von ihnen machen.