Volltext: Zeit-Echo (3(1917), August-September)

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erfahren, wie und wer er selbst ist. Wie könnte er da die Fähigkeit be 
sitzen, zu erkennen, wer ein Anderer ist? . . . Wenn aber zwei tot im 
Leichenschauhause Zusammentreffen, miteinander wieder aufwachen, sozu 
sagen als Geschwister von der .Allmutter Nichts* neu geboren werden —‘ 
Der Philosoph betrachtete die Dampfheizung, die Warmwasserein 
richtung mit den vernickelten Hähnen und der großen, weißglasierten 
Schüssel darunter. »Diesen Komfort werden wir allerdings nicht haben 
in unserer Wohnung.* 
Der Wärter kam mit dem Tee zurück. „Sie atmen nicht?“ 
„Sagen Sie mir“, fragte der Philosoph dagegen, „für was ist denn 
eigentlich die Dampfheizung nötig in diesem Hause, wo doch für einen 
glatten Betrieb die erste Grundbedingung ist, daß alles . . . frisch bleibt?“ 
„Ganz leichter Tee. Und ohne Zucker muß er getrunken werden.. . 
Wenn ich in einem kalten Winter die Temperatur von wenigstens ein 
Grad über Null nicht beibehalten könnte, müßte ich ja die Wasserleichen 
von den Pritschen loseisen.“ 
„Also alles bedacht! Hier wenigstens ist für alles gesorgt, wie?“ 
„Ja, hier fehlt nichts . . . Die Organisation für die Toten ist bei uns 
einwandfrei. Und die Organisation für das Massensterben ist, wie wir jetzt 
zugeben müssen, bei uns ebenfalls einwandfrei.“ 
„Sie sind also auch gegen den Krieg?“ Der Philosoph betrachtete die 
achtzehn Selbstmörder, die blauzüngig, starrgesichtig und stumm gegen 
den Krieg protestierten. . . . „Dieses Leichenschauhaus ist ja geradezu ein 
pazifistischer Schlupfwinkel.“ Er stieg von der Pritsche herunter. 
Die Ladnerin hatte das Mundstück noch zwischen den Lippen, sah 
aus wie ein Kind, das in ein Spielzeug bläst. 
,Am allermeisten, mehr als die graue Not ihres Lebens und als ihr 
Selbstmordversuch rührt mich an ihr die Spitzenhalskrause: dieses schüch 
terne, mißglückte Bestreben, schön zu erscheinen*, dachte der Philosoph. 
Die Truppen näherten sich im Laufschritt. Der voraus wippende 
Leutnant, mit geschultertem Degen, schien nur aus einer Brust zu bestehen. 
„Ob sie schießen werden?“ Der Rechtsanwalt riß den Philosophen 
in ein Haus. „Hat noch einen Ausgang. Durch die andere Tür kommen 
wir auf den Platz und näher an das Denkmal heran.“ 
Eine gewaltige Menschenmenge. Auf dem Sockel des Denkmals stand 
der Kellner.
	        
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