Volltext: Zeit-Echo (3(1917), August-September)

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nicht, sind nicht vorhanden, sind keine Menschen, sondern denkunfähige, 
seelenlose, unverantwortliche Automaten, die pflichtgemäß funktionieren .'.. 
und eingesperrt oder erschossen werden, wenn sie nicht funktionieren. 
Verstehst du jetzt, daß es sehr schwer sein wird, den Militarismus um 
zubringen?“ 
Er bekam keine Antwort; die Frau war ganz plötzlich, von einer Se 
kunde zur andern, eingeschlafen. 
Unter dem Philosophen versank die Welt. Sein Wesen wurde grau vor 
Einsamkeit. 
Erst Minuten später betrachtete er wieder das Gesicht der Schlafenden, 
das den Ausdruck furchtbarster Trauer und Klage trug. 
Sie sieht aus wie ein ungeborenes Wesen, das klagt, weil es nicht geboren 
werden kann, dachte der Philosoph. Und wußte plötzlich: ,Sie ist einge 
schlafen, weil sie erkannt hat, daß sie selbst eines dieser Wesen ist, die zu 
eigenem Denken, zu eigenem Leben, zu sich selbst nicht kommen durften.* 
Wilde Liebe und schmerzdurchtobtes Erbarmen drückte des Philo 
sophen Kopf auf die Tischplatte. Vor seinem inneren Gesicht stand klar 
der Gedanke: ,Für eine Gemeinschaft zu handeln, deren Geist die Mit 
glieder zwingt, nicht zu denken, kein eigenes Leben, kein eigenes Ich, kein 
warnendes Gewissen zu haben, sondern seelenlose, unverantwortliche Auto 
maten zu sein, die, wenn sie nicht jede befohlene Schandtat willenlos 
ausführen, eingesperrt oder erschossen werden, für eine solche Gemein 
schaft zu handeln, ist ein Verbrechen wider den Geist, das nicht vergeben 
werden kann. Es bleibt die sittliche Pflicht gegen Gott, gegen unser reines 
Ich, diese Gemeinschaft zu bekämpfen und damit für die Möglichkeit zu 
arbeiten, daß einmal eine Gemeinschaft entstehe, in welcher der Mensch 
. . . gut sein darf, in welcher der Mensch er selbst, ein Ich, ein für seine 
Handlungen moralisch verantwortliches Ich und als solches . . . gut, das 
bedeutet: für die Gemeinschaft sein kann.* 
„Vielleicht kommst du nur in ein Bureau.“ 
Der Philosoph hob den Kopf; die Frau hatte aus dem Schlafe ge 
sprochen. Ihr Gesicht war tränennaß. Durch eine leise Berührung er 
wachte sie sofort. 
Er sprach eindringlich und sanft: „Nehmen wir einmal an, ich käme 
nur in ein Bureau. Und müßte nur ganz untergeordnete Arbeiten ver 
richten . . . Vielleicht nur Stellungsbefehle ausfüllen, mit den Namen 
derer, die daraufhin, meinungslos-pflichtbewußt oder vielleicht gegen 
ihren Willen, sich einfinden und, nach der Ausbildung, Menschen er
	        
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