Volltext: Zeit-Echo (3(1917), August-September)

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bin — in der unbedingten Nächstenliebe gipfelt, einer Liebe, die keine Aus 
nahme zulässt, nicht einmal die vor dem Feinde und gerade die vor dem Feinde 
nicht.“ 
Und das spricht kein Phantast, sondern ein unerbittlicher Politiker, dessen 
Buch voll ist von den schauerlichen Dokumenten der vergangenen Jahre. 
ßCameradensiimme 
Diese guten Worte sagt Charlot Strasser im Berner „Bund“ (Sonntagsblatt 
vom 16. September 1917): „Noch nie wie jetzt hat der Schaffende empfunden, 
dass die Stoffe sich aufdrängen, dass die Kunst nicht mehr frei ist, dass ein 
heiliges Gebot ihr die Aufgabe bedingt, im geistigen Kampfe einer tollen, 
rasenden, wahnwitzigen Welt Partei zu ergreifen. Dann etwa noch: Zeugnis 
und leidenschaftlichen Protest abzulegen für alle Zeiten gegen die offizielle 
Geschichtschreibung der Majoritäten, gegen die Generalstabsberichte, Regie 
rungsfiktionen und Parlamentsschlagworte. Weit hinaus über die Kompromisse 
und Verrenkungen der starren und bestehenden Ordnung, die den einzelnen 
in den Krieg einordnen darf. Weit über die alles — Geist sowie Leere, Diffe 
renzierung wie kulturlose Tierverwandtschaft menschlichen Wesens — nivel 
lierende Vergewaltigung hinaus treffen sich Empörung und bitteres Weh all 
derer, die dem Glauben an die sittliche, religiös läuternde Bestimmung der 
Kunst, an gütiges Verstehen und Näherbringen der einzelnen Menschen unter 
einander ihr Streben und Wirken geweiht haben. Ohne dieses Ziel ist dem 
gegenwärtig Schaffenden und Nachempfindenden keine neu werdende Literatur 
erträglich. Fast undenkbar sind ihm heute Aufgaben, die nicht aus dem ewig 
unverarbeitbaren Erlebnis der vergangenen Kriegsjahre zu gestalten suchen. 
Unwürdig Leistungen, die nicht Tendenz umwirkeri!“ 
Der Krieg hat Gustav Landauers menschlich grosse Zeitschrift „Socialist“ 
beseitigt. (Dies ging, ausser den Zwischenfällen des Schweigenmüssens wohl 
nicht ohne starke Enttäuschungen, Überraschungen, Lehren ab. Manche, die 
jahrelang im „Socialist“ veröffentlichen durften, haben seit Beginn des 
Krieges ihren wilden Literatur-Nationalismus entdeckt; andere, die theoretisch 
abgelehnt wurden, haben sich als reine Menschen und als Zukünftige ent 
hüllt. Im ganzen das Bild wie in jeder großen Krise einer Bewegung: Die 
Künstlerischen und Geschätzten waren Verräter; die Agitatorischen und Miß 
achteten waren Menschen!) Seitdem ist, wie mir scheint, nur ein einziges 
Blatt da, das unzertreten vom Polizeistiefel, den wahren Aufgaben des mensch 
lichen Geistes dient. Das sind die „Neuen Wege“, eine Monatsschrift, die im 
zwölften Jahrgang (bei R. G. Zbinden in Basel, Rheinsprung 5) erscheint. 
Ein Mann hat mit den elf starken Jahresbänden dieser Zeitschrift einen 
Block in die Welt gesetzt, um den sie nicht mit Lächeln, Schielen oder Ver 
gewaltigung wird herum kommen. Dieser Mann heißt Leonhard Ragaz; wer 
sich nicht um Personales kümmert, sondern darum, was er aus der Lektüre
	        
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