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die Fremdherrschaft aufgefordert? Ich glaube, von denen, die jene
Reden Fichtes heute rühmen, hat noch nicht einer unter hundert sie
gelesen und nicht einer unter tausend sie verstanden. Gewiß, es sind
patriotische Reden, sie sind patriotisch sogar im höchsten Sinne dieses
Wortes-- sie sind nämlich durch und durch erfüllt vom soziafistischen
Geiste.
In dieser Verbindung sei mir die Zwischenbemerkung gestattet,
daß ich es sehr bedaure, daß und wie bei den gegenwärtigenMeinungs«
kämpfen in unserer Partei das Wort »Sozialpatrioten« in Gebrauch
gekommen ist. Es ist das ein ganz begriffsloses Wort, da man mit
dem Ausdruck Patriot niemals eine bestimmte Richtung in dem Streit
um die Rolle der Nation bezeichnen kann. Will man eine Übertreibung
oder falsche Anwendung des nationalen Gedankens durch Sozialisten
kennzeichnen, so sage man Nationalsozialisten oder Sozialnationa«
listen oder auch Sozialimperalisten, da jede solche Wortverbindung
einen Gegensatz zur Internationalität anzeigt, wie wir diese bisher
verstanden haben. Das tut das Wort Sozialpatriot aber nicht, denn
im Begriff des Wortes Patriotismus liegt keine Übertreibung des
nationalen Gedankens, kein Gegensatz gegen den Kosmopolitismus
oder die Internationalität,
Johann Gottlieb ‘Fichte war Patriot im höchsten Sinne des Wortes,
sage ich, weil er Soziafist war, so gut man dies in Deutschland zu
Anfang des 19. Jahrhunderts sein konnte. Seine Reden an die Deutschen
waren ihrer Tendenz nach sozialistisch und nicht nationalistisch. Denn
nach ihnen sollten die Deutschen sich aus der Bedrückung, unter der
sie damals litten, emporheben durch eine „ganz neue Ordnung der
Dinge”, wie wir heute sagen würden, eine soziafe Neuordnung,- und
sie beschäftigten sich zum grössten Teil mit pädagogischen Fragen, da
der Sozialismus, um überhaupt denkmöglich zu sein, zu einer Zeit,
wo die ökonomischen Voraussetzungen der Sozialisierung der Pro
duktion fehlten, vorwiegend Erziehungssoziaf ; smus sein mußte.
Anknüpfend an die Gedanken Pestalozzis verkündet Fichte die Grün»