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Manchmal wurde Ihr Ich nicht zur Welt. Dann wurde Ihre An«
gelegenheit nicht unsere. Aber wo Ihr fest Hingestelltes und Ihr
fließendes Ich sich in der Durchdringung die Wage hielten — bislang
nur in wenigen Dichtungen — lag Ihre wertvolle unausgeschöpfte
Ferne.
Ich weiß nidit, ob Sie ein Großer geworden wären, lieber Lichten»
stein, aber ein Heiliger waren Sie bestimmt. Und ein Besessener —
wer kann das auseinanderhalten?
Heilig und besessen waren Ihre überhellen Augen, die zu viel sahen,
weil sie immer auf dieselbe Stelle bohrten, die wütend brannten vom
Sehensschmerz und sich dennoch immer wieder stahlhart und glaszer»
brechlich der mit Bajonetten anstürmenden Welt stellten, eher brachen,
als daß sie sich verschleiert hätten.
Ein Besessener, hörten Sie bei dem leisesten Wind das ganze Welt»
gebäude knacken. Seine Proportionslosigkeit schrieen Sie heraus mit
Perversionen, Irrenhäusern, Anatomien. Seine Schiefheit und Zweck»
losigkeit konnten Sie nicht breit genug malen am grauesten, gelbsten
Alltag, an Familienszenen und Sonntagnachmittagen. Sie räditen Ihre
Leiden, indem Sie sie zu Worte ballten, die Sie den leidenlosen Bür»
gern an den Kopf warfen, daß sie aufwachten. Das war keine ethische
Absicht/ nur der soziale Wille jeder Kunst, dieses: »Die anderen
sollen mitmachen, was ich fühle«. Wenn Ihr Schmerz zur Wut schwoll,
daß Sie einhadcten rechts und links, dann saß jeder Hieb noch in Ihrer
eigenen Seele. Sie wurden Schmerz los, indem Sie ihn noch einmal
empfanden. Vor Wut schmissen Sie mit Kot. Ihnen glitten die Verse
nidit goethisch ineinander, sie krachten zusammen. Wie in dieser Zeit
der Gottabwesenheit, in der die Grenzen zwischen den Dingen fielen,
in wahlloser Unzucht das Weiße neben dem Schwarzen liegt.
Sie waren ein Heiliger, weil Sie nodi im Dreck beteten. Sie schmun»
zelten sich nicht ins Zynische hinüber, wie jene witzeboxenden und
doch schwächlichen Hirnathleten, mit denen man Sie »desselben Stiles«
halber zusammenstellt. Kein Wertvoller hat sein Lüstchen am Hinter»