Volltext: Der Almanach der Neuen Jugend auf das Jahr 1917 (1)

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WIELAND HERZFELDE: 
DER LETZTE MENSCH 
Nur Knäblein kamen noch zur Welt, so schäumend ward das Blut 
der Mütter. Im Springbrunnen seiner offenen Adern versank das 
letzte Weib. 
Auf Erden wieder Paradies: Stahlkühl die Tage, braun die Nächte, 
Morgen und Abend gab es nicht mehr. Die Lust vergessen, auch der 
Tod. Wer starb, wurde verbrannt/ der Älteste hielt eine Leichenrede. 
Man hörte sie an. Seine Anordnungen gingen widerspruchslos von 
Mund zu Munde. Man wohnte beisammen, nicht zu eng. Gleich* 
gültig, was ein jeder arbeitete: es mangelte an nichts. Geschrieben 
wurde wenig: die Inschrift der Urnen, Kalender, Wetterbericht/ zu* 
weilen eine historische, eine astronomische Denkschrift, die im Archiv 
Verwahrung fand. 
Der Besitz mancher: Träume und Erinnerungen, wurden keinem 
zur Sehnsucht, zu Leide/ doch schweigsam schuf das Lauschen die 
Menschen. So wenige geworden, daß alle einander kannten, verschloß 
sie das Du noch mehr/ zu ruhig gesprochen/ vermochte es nicht der An* 
gesichter Grenzen zu lösen. 
Keimlos auf Erden das Paradies: Wolken und Lieder gab es nicht 
mehr — 
Und es versammelte <nur im Archiv war Bericht über solches Ge* 
schehn noch zu finden) die Bürger der Erde um sich der Älteste. 
Älter wohl war er als seine Vorgänger meist,- und sprach: 
Leßencfige! 
»Wir waren noch Knaben, noch Kinder, als das Weib, der Erden* 
wille, versank. Versank bis in unser Bewußtsein. Tot auch werde 
sein, bald, der Erde Sinn, das Geschlecht der Menschen: wir,- uns 
überdaure die Kählnis des geistverlassenen Seins —, sagt der Vernunft 
eiserner Blick! 
Aber ein andres in uns <wir ereifern uns nicht mehr, ihm Namen
	        
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