Volltext: Der Almanach der Neuen Jugend auf das Jahr 1917 (1)

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HEINRICH MANN : 
DER BRUDER 
Peter Scheibel blieb nach dem Tod seiner Eltern zurück als ganz ver® 
armter Siebenzehnjähriger und mit einer kleinen Schwester, die nie® 
mand hatte als nur ihn. Er sagte sich, daß er auf der Schule und später 
auf der Hochschule wohl sich selbst noch würde durchbringen können, 
unmöglich aber ein heranwachsendes Mädchen / und ohne Säumen ging 
er auf die Suche nach einer bezahlten Arbeit. Er fand sie bei Fülle 
'S) Sohn, Häute, zuerst als Ausgeher/ aber bald ließen sie ihn Briefe 
schreiben. Nadi acht Jahren war er Buchhalter und hatte ein Zimmer® 
chen für sich allein, auf einen Hof hinaus, der nicht hell war/ außer 
im Hochsommer mußte man immer das Gas brennen. Luft und Licht 
fand er zu Hause, ihm dünkte es oft, kein Mensch könne zu Hause, 
die kurzen Stunden, in denen dies erlaubt ist, so viel Sonne und frohes 
Herz finden. Sie wohnten hoch über einem weiten Platz, mit elektri® 
sehen Bahnen, Obstkarren, Soldaten. Ihr kleiner Balkon trug Blumen, 
und Anne drinnen sang. Andere hörten sie nicht von draußen, ihre 
Stimme war nicht stark/ der Bruder aber blieb auf der Treppe stehen 
und hörte sie. 
Sie war erwachsen in den acht Jahren, unter seiner Pflege, seinem 
steten Gedenken, als Lohn für alle seine Mühen/ aber noch blieb sie 
zart und unsicher, nicht nur von Gesundheit, auch in ihren Formen, 
Farben und in ihrer Art, das Leben zu nehmen oder es vorauszuahnen. 
Bei ihren wenigen Bekannten galt sie für langweilig oder hochmütig, 
manchmal argwöhnten sie Bosheit, Nur ihr Bruder kannte sie wirk® 
lieh, er war stolz darauf, wie auf eine treu erworbene Vertrauens® 
Stellung. Ihr ward es nur leicht bei ihm. Nur bei ihr war er glücklich. 
Am Abend mitunter und dann wenn sie ihm Gute Nacht wünschte, 
sah er auf zu ihr, staunte eine Weile, und nannte sie Beatrix. So hatte 
eine Prinzessin geheißen, in einem Buch mit bunten Bildern, das sie 
zusammen lasen, als er zwölf und sie fünf Jahre alt war. Damals
	        
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