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unendliche Fülle von Mikrokosmen ist, eine Pluralität und Unzählig*
keit von »Identitäten«, von selbstbewußten Kreuzungspunkten der
Weltenströme. Was er also den Amerikanern als Religion des Geist*
und Universalgefühls bringt, ist eine neue Form der ewigen Lehre
der Philosophen und Mystiker von Indien über die christliche Mystik
zu den Magikern der Renaissancezeit und weiter über Berkeley und
Fichte bis in unsere Tage: der heute sogenannte Monismus dagegen
hat nur schwache Ähnlichkeit mit dieser Erkenntnis. Am meisten Ver*
wandtschaft hat Whitmans Lehre noch mit dem nickt entsagungsvollen,
sondern freudig dem vollen Leben zugewandten magischen Pantheis*
mus, wie er sich in der Renaissance von Nicolaus Cusanus her bei
Paracelsus, Agrippa von Nettesheim und ähnlichen Geistern gebildet
hatte. Der viele Aberglaube bei diesen darf unsere Vergleichung nicht
stören,- das war ihre gerade erst von ihnen geschaffene Natur»wissen*
Schaft«, wie Whitman in unserer Naturwissenschaft« und Technik
schwelgt. Ja, sogar in der Form findet man bei jenen Magiern der
Renaissance ~dieWhitman kaum gekannt haben wird-'Verwandtes,-
so hat Agrippa von Nettesheim ein gewaltiges Motto zu seinem Buch
»Von der Eitelkeit der Wissenschaften« 1 , das nadi Geist und Form
völligwhitmanisch ist. Ich führe es hier an:
Unter Göttern Böeißt deiner ungezaust von.Momus.
Unter Heroen jagt nacß jedweden Ungeßeuern Herdufes,
Unter Dämonen wütet derKönig der Unterweft Pfutongegen affe Sdsatten.
Unter Pßidosopßen fadst üßer ades Demodritus.
Dagegen weint üßer das Ganze Heradfitus.
Nicßts weiß von gar nicßts Pgrrßon.
Und ades zu wissen dündt sicß Aristotefes.
Verädter des Ganzen ist Diogenes.
Von ad dem nicßts feßft Bier Agrippa. (Whitmans Myself, Ich.)
Veracßtet, weiß, weiß nicßt, weint, facßt, wütet, jagt, zaust ades.
Sefßst Pßifosopß, Dämon, Heros, Gott und die ganze Weft.
1 In zwei Bänden bei Georg Müller, München deutsch erschienen, von Fritz
Mauthner neu herausgegeben.