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von der Nachbarin übernommen hatte: jetzt müsse man sich halt damit
abfinden, sdirak sie zurück vor Roberts gefährlich blickenden Augen
und schwieg fernerhin.
Auch Robert schwieg, tat die Arbeit, die man ihm zuwies. Und
da man ihn, der wiederholt Gäste fortlaufen ließ, ohne daß sie bezahlt
hatten, nur noch als Wasserträger im Hotelcafe verwenden wollte,
erklärte er sich auch hierzu bereit.
Robert wußte, daß etwas geschehen werde. Deshalb ertrug er weiter
diese gefährliche Ruhe. Denn wie konnte es möglich sein, daß nichts
geschah durch ihn, der nichts mehr verlieren konnte, da er alles schon
verloren hatte? Der von einer dünnen Kellnerhaut überzogen war,
unter welcher der Mensch schrie, entsetzlich lautlos der Schmerz, die
Liebe schrie? Durch den geringsten Anlaß konnte die Haut zer*
springen. Dann stieg der Schrei.
Die Kindergewehrchen und Säbelchen hatte er sich aus den Augen
hinüber ins Hotel getragen und hinter das Klavier gesteckt. Denn
wenn er dieses Spielzeug nur anblickte, brannte ihn die Schuld. Aber
wenn er einen mit dem Kriegsorden verzierten Leutnant bediente,
zitterten seine Hände nicht. \ '
Und als eines Tages ein patriotischer Jugendverein — halbwüchsige
Jungen unter Gewehr — die Straße herauf und am Hotel vorbei das
Lied trugen »Kann dir die Hand nicht reichen, dieweil ich eben lad...«
fraß sidi das Schuldbewußtsein glühend in Robert hinein. Denn auch
er hatte seinem Sohne solche Lieder gelehrt und lehren lassen und voll
Vaterstolz ihm zugehört.
In wilder Spannung stand er unterm Hotelportal und fühlte, daß
sein Sprung auf die vorbeimarschierenden, schlecht beratenen Jüng-*
linge ein Sprung in die Luft sein würde. Denn hinter den Jünglingen
und hinter dem Kampfliede stand etwas, das nicht zu greifen war: ein
unsichtbarer, unkörperlicher Gegner. Gott hielt ihn zurüdc vor dem
Sprunge. Gott hob ihn auf für die Minute, da der Feind greifbar
werden würde, fühlte Robert.