Volltext: Der Almanach der Neuen Jugend auf das Jahr 1917 (1)

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gelehrt. Mein Sohn ist gefallen. Er ist tot. Ich bin sein Mörder... 
Vaterstolz, Ruhmsucht, Gedankenlosigkeit und Gewohnheit haben 
mich zum Mörder werden lassen. Und doch habe ich nur getan, was 
auch ihr getan habt. Auch von euch hat mancher seinen Sohn... ver 
loren.« 
Robert hieb das Gewehrchen gegen die Knie und legte die zwei 
Stüdce ruhig zu seinen Füßen nieder. »Das hätte ich vor fünfzehn 
Jahren tun müssen... Habt ihr es getan?... Also seid auch ihr Mörder.« 
»Unsere Männer und unsere Söhne erschießen Männer und Söhne. 
Und jene Männer und Söhne erschießen unsere Männer und Söhne. 
Und jeder Daheimgebliebene hofft: mein Mann, mein Sohn kommt 
zurück. Mögen die anderen fallen und sterben.« 
»Solches kann nur ein Wahnsinniger wünschen... Ich frage euch/ 
ist der kein Mörder, der ein unschuldiges Kind so erzieht, daß es erst 
zum Mörder werden muß, bevor es selbst ermordet wird? Wird der 
so erzogene Unschuldige, wenn er einen gleichfalls schlechtberatenen 
Unschuldigen erschießt, nicht zum Mörder? Es gibt heute in Europa 
keinen Menschen mehr, der nicht ein Mörder ist!... Wir sind ver 
blendet und Mörder, weil wir den Gegner außer uns suchen und zu 
finden glaubten. Nicht der Engländer, Franzose, Russe und für diese 
nicht der Deutsche, sondern in uns selbst ist der Feind. Und wir 
stempeln deshalb andere Menschen zum Feind, weil der tatsächliche 
Feind in uns etwas ist, das nicht da ist. Das Nichtvorhandensein der 
Liebe ist der Feind und die Ursache aller Kriege. Ganz Europa weint, 
weil ganz Europa nicht mehr lieben kann. Ganz Europa ist wahn 
sinnig, weil es nicht lieben kann.« 
»Oder ist es nicht Wahnsinn, wenn ihr euch freut über die Notiz: 
zweitausend französische Leichen lagen vor unserer Linie? Ist die 
Einwohnerschaft von Paris nicht wahnsinnig, wenn sie sich freut über 
die Notiz: zweitausend deutsche Leichen lagen vor unserer Linie?« 
»Wir schreien vor Schmerz oder die Augen bleiben trocken vor 
Schmerz, wenn unser Sohn fällt. Solange wir nicht ebenso vor Schmerz
	        
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