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wärtige dir den letzten Blidk deines Bräutigams, der verwundet, dür*
stend sedis Stunden lang in der Sommerhitze im Stacheldraht hing.
Stelle dir seinen letzten, furchtbar langen Blich vor.«
»Frau,« sagte Robert zu einer Erbleichenden, leise, daß es alle
Siebenhundert hörten, »was hat dein Mann, den du liebtest, der dir
Brot und Kinder gab, dem getan, der ihm das Bajonett in den Leib
stieß?«
Die Frau wimmerte, ihr Kopf sank dem neben ihr Sitzenden auf
die Schulter.
»Die Menschen sind wahnsinnig, wirklich und wahrhaftig wahn*
sinnig, weil sie die Liebe vergessen haben. Und weil sie die Liebe
vergessen haben, glauben sie, es müsse alles so sein, wie es ist. Unser
Volk, wie wir es sehen, besteht nur noch aus Krüppeln und elend
aussehenden Kindern und Greisen. Wenn man jetzt noch die Arme
und Beine, die losgetrennten Menschenköpfe, die Millionen zerrissenen
Leichen, unter denen auch eure Söhne und Männer sind, von den
Schlachtfeldern holen und auf eure Straßen werfen würde, euch vor
die Augen, würdet ihr auch dann noch sagen, man muß sich halt damit
abfinden? Oder würdet ihr endlich hinknien, bereit zum Lieben, was
auch dabei herauskomme? Würdet ihr dann endlich sagen: ich will
nicht leben, wenn ich nicht lieben darf? Würdet ihr einsehen, daß die*
jenigen, die euch das Lieben verbieten, Feinde sind? Feinde des
Menschen. Volksfeinde! Seht Ihr nicht die Berge von zerrissenen
Menschenleibern? Sie liegen auf euren Straßen, daß kein Wagen mehr
fahren kann und ihr keinen Schritt mehr machen könnt. Eure Söhne!
Eure Söhne! Eure Männer! Väter! Blutig! Zerrissen! Unkenntlich!«
Ein Schrei stieg aus der Saalmitte empor. Hinten beim Saaleingang
erklang ein tierisches Stöhnen. Einem alten Manne fiel die Stirn in die
Hand. Ein Mädchen verließ die Stuhlreihen/ sie hatte große Augen
bekommen und stürzte in die Knie.
»Wir dürfen uns nicht länger belügen und sagen: der Zar, der
Kaiser, der Engländer ist schuld,« Robert legte langsam die Hand mit