Volltext: Der Almanach der Neuen Jugend auf das Jahr 1917 (1)

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und spraA. Sein Mund zeiAnete den letzten Satz in meterhohen Buch« 
staben an den Himmel: »Es ist schon die Axt an die Wurzel gelegt. 
Darum, welcher Baum nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und 
ins Feuer geworfen.« 
Eine junge Frau stand da und tat nichts als lächeln und »Friede« 
sagen. Reisende, die vom Bahnhof kamen, vergaßen alles und schlossen 
sich an, als die Menge weiterzog. Flammend. Schnell. Entzündet vom 
Glauben. Eine Schar Urlauber, feldmarschmäßig ausgerüstet, das 
Gewehr quer über dem Rücken und das Grauen des Schlachtfeldes in 
den Augen, schloß sich an. Alte Mütterchen kamen kaum mit. Kinder 
bekamen schmale Gesichter vor Staunen und ahnten das Große. Ein 
alter Polizeiwachtmeister mit grauem Spitzbart, das Trauerband am 
rechten Arm, bekam fanatische Augen und schloß sich an. Menschen, 
die dem Zug entgegenkamen, machten kehrt, vom Feuer ergriffen. 
Radfahrer sausten durch die Straßen. »Die wollen Friede machen!« 
Die Wirtshäuser entleerten sich. Werkstätten, Baustellen entleerten 
sich. Transmissionen standen still. Eine Abteilung Soldaten unter 
Gewehr wurde mitgerissen. Gesänge der Liebe ertönten im Marsch» 
tempo. Kranke stiegen aus den Betten, schleppten sich ans Fenster. 
Kilometerlange Linien von Frauen, schräg bewegt, trieben aufeinander 
zu, stießen zum Zuge. 
Ein Zwanzigjähriger — Fanatismus und Geist auf der Stirn — 
sprang aus einer menschengefüllten Seitengasse heraus, auf den Kellner 
zu, küßte ihn. Und sein heißer Blick öffnete die Herzen. Die ganze 
Stadt war aufgestanden und schrie ein Wort. Friede. Das so ge» 
sproAene Wort wurde zu vieltausendstimmigem gewaltigem Gesänge. 
Alle KirAengloAen läuteten.
	        
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