Gehirn oder in der Netzhaut. Aber dadurch versetzen sie sich erst recht in die Ver
legenheit, Rechenschaft darüber abzulegen, auf welche Weise die Empfindung aus
ihrem angeblichen Sitz nach aussen gelange. Sie nehmen einen Akt der „Verlegung“
an — das ist aber ein unvorstellbarer Veriegenheitsakt. Man denke! Ohne die ge
ringste Empfindung einer Aussenwelt soll ich meine Empfindungen präzis in diese
Aussenwelf „verlegen“? Eine Flamme im Hirn soll das Nefzhautbild in der Laterne
des Auges vergrösserf nach aussen werfen. Da man aber gar kein Netzhautbild
empfindet, behauptet man diesen Akt ohne die Möglichkeit seiner Kontrolle, daher
unwissenschaftlich. Das Rätsel lautet aber gar nicht: Wie gelangt die Empfindung aus
dem Hirne nach draussen; sondern: Wie erklärt es sich natürlich, dass die Empfindung
faktisch draussen und nicht im Hirn (die optische nicht einmal im Leibe) stattfindet?
Und dieses Rätsel hat Marcus wissenschaftlich zum ersten Maie gelöst. Er stellt
fest, dass wir keine „verlegten“ Scheingebilde, sondern die Wirklichkeit selber sehen,
also dass die Empfindung dort sitzt, wo wir sie wahrnehmen, und nicht erst „verlegt“
zu werden braucht.
Seltsam, ja unmöglich scheint die Tatsache der ausserleiblichen Empfindung. Und
doch streitet sie gar nicht mit der Tatsache, dass die ausserhalb des Leibes sitzende
Empfindung nicht durch täuschende Verlegung, sondern wirklich selber vom Gehirn
aus dorthin gelangt ist. Es eröffnet sidi hier die wunderbare Möglichkeit, dass Gehirn
und Leib weiter reichen, als Schädelkapsel und Haut es uns verraten, dass sie über
diese Grenzen hinaus zwar nicht fest, aber in einer ätherisch materiellen Weise sich
erstrecken. Wird das feste Gehirn gereizt, so gerät das ätherische in Schwingungen,
welche (wie Röntgenstrahlen) die Schädelwände durchbrechen und sich bis an die
Sterne fortpflanzen. So sässe denn auch nach dieser Marcus'schen Auffassung die
Empfindung im Gehirn, aber nicht im festen des Kopfes, sondern im ausserleiblich
ätherischen. Ähnlich wie Newton die bis dahin nur irdische Schwerkraft im ganzen
Welträume herrschen lässt, ähnlich verwandelt Marcus die Empfindung aus der nur
leiblichen in etwas Weltweites und aus etwas nur Seelischem in Materie, die der
physikalischen Erklärung unterliegt.
Wir sehen nicht mit den Augen, sondern mit dem Gehirn. Der Sehnerv ist nur
der Zuleiter zum Gehirn. Der Rückweg des Lichtes nadi draussen bedient sich nicht
des zuleitenden Sehnervs: sonst müsste ja die gesehene Landschaft an der Bewegung
des immer rollenden Auges teilhaben. Unmittelbar ergiesst sich auf äusseren Anlass
das Lidif durch die Schädel wände. Gesetzlich, wie Wirkung der Gegenwirkung, ent
spricht von aussen die Rückwirkung des Gehirns. Vergebens lässt der Theoretiker die
Empfindung nicht am selben Orte wahrgenommen werden, wo sie liegt. Audi darf er
das Gehirn, wenn es physikalisch zur Empfindung angereizt wird, nicht mit einer
seelischen „Verlegung“ antworten lassen: auch diese Antwort muss physikalisch aus-
fallen. Statt der „unbewussten“ Empfindung eines Netzhautbildes und der nur schein
baren Existenz der ausserleiblichen optischen Gebilde hat Marcus die Grundfatsache
der unmittelbaren Wahrnehmung des optisch Empfundenen an Ort und Stelle seiner
bewussten Sichtbarkeit. Setzt sich das Gehirn nicht ätherisch in alle Räume hinaus
fort, so kann die Empfindung ja nur gespenstisch krankhaft aus dem Hirn in die Welf
entspringen; und nur eine echt materielle Schwingung kann sich aus dem Hirne nach
außen bewegen, kein „verlegter“ Schein.
Da, was niemand bestreifet, Empfindungen am Gehirne haften, so haften sie ent
weder an seiner leiblich festen oder an seiner ausserleiblich ätherischen Materie. Im
ersten Fall existiert die ausserleibliche Wahrnehmung nur als ein Spuk; und nur im
zweiten, dem Marcusschen Fall, existiert sie unmittelbar wirklich. Eine dritte Mög
lichkeit gibt es nicht.
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