Volltext: Veröffentlichung der November Gruppe (1(1921))

Der Mensch 
in seiner Form isf ein Bruder des Kosmos. 
Meine Vorstellung von Natur ist immer innerlich verbunden mit dem Vorstellungs- 
Erzeuger, und dieser ist der Sinn der Bewegung, ein sechster Sinn, der Bewegung 
denkt und Bewegung macht. Er ist sowohl Vater des Blutkreislaufs als auch Vater 
des Gedankenlebens. Es kommt also bei der Darstellung des Menschen die bisher 
nicht gemachte Forderung hinzu, ihn als äussere Totalität mit meiner inneren Körper 
totalität in Beziehung zu setzen. Meine innere Körperfotalität ist die des gesamten 
Erdballs plus der des unendlichen Raumes. Bringe ich den Menschen vor einem 
Stüde Rasen, Wald und Himmel zur Darstellung, in naturalistischer Weise, so will ich 
den Schein erwecken, dies Stück Rasen, Wald und Himmel sei Totalität, und mich 
selbst, dessen Gleichnis ich in diesem Bilde sitzend, stehend oder liegend darstelle, 
midi selbst zwinge ich zu Gunsten der naturalistischen Weltfälschung eine Fälschung 
meines Menschenerlebnisses vorzunehmen. Das heisst: da der Naturalist das Erlebnis 
des universellen Raumes und die Vorstellung des gesamten Erdballs nicht in sich 
schliesst, so hat sein Naturerlebnis dieselben Mängel wie der Naturalist selbst. Haben 
Wir aber das Erlebnis des universellen Raumes und mit ihm die Vorstellung des 
ganzen Erdkörpers, so isf dieses Erlebnis gleichzeitig der Komplex von Bewegtheiten, 
kosmischer Bewegtheiten und fellurischer Bewegtheiten. Niemals wird die geo 
metrische Erklärung zu den wirklichen Kraftbeziehungen des Geistes hinaufreichen. 
Denn von dem Augenblick an sind alle Kraftbeziehungen geistig, sobald das Verhältnis 
von Ursache und Wirkung als subalterne Erklärung von Vorgängen höherer Ordnung 
ausgeschalfef wird. Aber alle Vorgänge sind Vorgänge höherer Ordnung. 
Nun gut, geben wir zu, dass wir einen solchen Weg einschlugen, um uns der 
höheren Ordnung zu nähern. Geben wir zu, dass alle Voraussetzungen, mit denen 
wir denken, experimentieren und analysieren, nur innerhalb des Denk- und Vor- 
sfellungskreises Gültigkeit haben, der nur ein begrenztes Ausmass unserer Denk- und 
Vorstellungsfähigkeif beansprucht. Die ursprünglich geprägten Denk- und Vorstellungs 
symbole sind zu wahren Tyrannen der grossen Seelenmächfe geworden, deren Lebens 
quell es isf, mit den grossen Ganzheiten und Unendlichkeiten in Verbindung zu bleiben, 
in denen sie die Gottheit lebendig fühlen. 
Geben wir es zu, daß die triumphierende Logik ihre eigene Jugendqual ver 
gessend, mit der sie kindlich, jung und ehrlich um das Erfassen des Unfassbaren rang, 
dass diese Logik in dem eigenen Erlahmen ihrer jungen Wünsche sich das Quiefiv 
einer alfersscharfen Selbstanalyse schuf, die ihre Kraftlosigkeit zur Norm nahm, und 
sie als eine Forderung nicht nur aufsfellfe, sondern sie physiologisch umsefzfe. Wir 
werden diese Logik nicht anders überwinden, als dass wir uns physiologisch, also 
auch psychisch, also auch geistig ihrem Bann und Ein wirken entziehen. Und das tun 
wir dadurch, dass wir uns weigern, in ihrer Systematik zu denken; dass wir uns 
weigern, ihre Ergebnisse nadizuprüfen, dass Wir ihr die Möglichkeit aberkennen, irgend 
welche Wahrheiten zu erfassen oder gar zu beweisen, die in unserm Prozess der 
sich umbildenden Physis, Psyche und Geistigkeit am Werke sind. 
Wir verzichten auf diese Logik und ihren Kausalnexus und wir erklären, dass 
sie für uns aufgehörf hat zu existieren. Wir fangen von vorne an, mit der Um 
bildung unseres Leibes durch den Geist, der immer stärker an allen Türen rüttelt, die 
lange vor ihm verschlossen waren. Otto Freundlich
	        
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