Volltext: Veröffentlichung der November Gruppe (1(1921))

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Franzosendämmerung 
D er Krieg zerriss brutal die Fäden reger geistiger Beziehungen, die die europäischen 
Völker vordem untereinander verbanden, überrascht und erstaunt erkannte der 
deutsche „Geistige", dessen Meinung sich von der allgemeinen Uniformierung befreien 
konnte, auch bei den Kultur- und Bildungsgrössen der Feindländer die plötzliche Un 
versöhnlichkeit, die ihm die Schwertpolitiker seines Landes eingebracht hatten. Trotz 
der Kriegswut 1914 und des eingeimpffen „Gott strafe England" kämpfte ja Deutschland 
gegen keinen seiner Feinde mit echtem Hass. Selbst der verlorene Krieg und der 
Vertrag von Versailles konnten bei uns nicht den Hass erwecken, der unsere Nachbarn 
jenseits des Rheins von jeher beseelte und auch die Sieger heute noch erfüllt. Die 
warmen Sympathien besonders, die die deutsche Kunsfgemeinde für die französische Kunst 
hegte, wurden kaum jemals vermindert. Ein einseitig interessierter Kunsthandel und eine 
mit ihm laufende Literatur und Presse hatten in Deutschland eine große Begeisterung 
für den französischen Impressionismus entzündet, die immer neu geschürt nicht ein 
zudämmen war. Von nationalistischer Seite wetterte zwar bei Kriegsbeginn eine 
Reaktion in übertriebenem Masse gegen die französischen Einflüsse. Sie wurde bald 
abgewiesen. — Karl Schefflers Worte, die auch Otto Graufoff seinem jüngst erschienenen 
Buche über die französische Malerei seif 1914 voransefzf, brauche ich hier nicht zu 
wiederholen. Sie sind vorbehaltlos zu unterschreiben. — Schon lange vor Kriegsende 
scharwenzle der Berliner Kunsfhandel wieder vor seinen Lieblingen und veranstaltete Aus 
stellungen französischer Maler — in der Schweiz, übertrieben wie die Hetze blinder 
Patrioten war die Liebäugelei andererseits, die den Deutschen ehedem in unwürdige 
Abhängigkeit gebracht hatte. Zweifellos war der Impressionismus und seine Nachzeif 
eine bedeutende Angelegenheit Frankreichs. Zur Blütezeit impressionistischer Malerei 
war der französische Einfluss in allen Ländern erkennbar. Nur fühlte man bei uns 
nicht, dass diese Kunst des nur sinnlichen Eindrucks dem deutschen Wesen fremd war. 
So verschrieben sich vor allem die nicht selbst schöpferischen Kreise in Deutschland 
ein für allemal der Franzosenmalerei, sodass sie auch heute, nachdem sich die Lage der 
modernen Malerei völlig verschoben hat, wieder alles Heil aus Paris kommen sehen. 
Künstler, Kunstwissenschaftler und -referenfen pilgerfen auch lange nach der im 
pressionistischen Epoche noch begeistert nach Paris und nahmen alle Regungen der 
französischen Kunsfseele als Offenbarungen auf. Da zumal die Nichfkünsfler meist 
nur das begreifen und aufnehmen können, was sie gelernt haben — schulmässig 
oder aus Erfahrung, so bildete das Pariser Studium die dauernde Grundlage ihrer 
gesamten Kunstanschauung. Die meisten der heute einflussreichen Kunsfschriffsfeller 
und sonstigen Kunsfmenschen in Deutschland stützen ihre Meinung auf diese Kunst 
bildung. So kommt es, dass sie gemeingültig als Kunst erkennen, was off nur eine 
Angelegenheit des leichten Handgelenks und der alten Geschmackskulfur des Franzosen 
ist. Zu dieser beschränkten Einstellung kommt die dem Deutschen eigene übermässige 
Vorliebe für alles Ausländertum überhaupt hinzu. Heute, nachdem kaum die lange 
unterbrochenen Beziehungen zu den ehemals feindlichen Ländern wieder aufgenommen 
worden sind, hasten nun Kunsthändler und -Schriftsteller wieder in lächerlichem Wett 
streit um jede Gelegenheit ihre Ausstellungen und Kunstblätter mit ausländischer 
Kunst zu füllen. Man überbiefef sich in Lobhudeleien, und wieder ist es Paris, das 
über alles gestellt wird. Vom Kunsthandel geht die Parole aus und die Andern 
schreien sie nach. Natürlich lässt sich der Kunsfhandel nur vom Geschäftsinteresse 
leiten. Er hat sich fesfgerannf, und gefüllte Lager zwingen ihn die Konjunktur 
hochzuhalfen. Wir erleben das beschämende Schauspiel, dass man lieber
	        
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