Volltext: Veröffentlichung der November Gruppe (1(1921))

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jemandem zeige. Dann freue ich mich immer, dass die 
Menschen den Begriff Zeit gebildet haben, und dass ich 
mich noch entwickeln kann. Ich meine, dass ich weiss, 
dass noch Gegenwartsmomente vor mir stehen, in denen 
ich etwas Vernünftiges leisten kann. — 
Soest, 26. 4. 12. 
Man hört jetzt soviel von den Futuristen. Ich habe 
mal über die Kerls nachgedacht. Ich glaube, dass das 
alles verkappte Impressionisten sind. Ob man nun solche 
tolle Impressionen hat oder ob man zahmere hat, das ist 
doch eigentlich Temperamentssache jedes einzelnen. 
Darum gehen die Leute aber doch nicht über den Im 
pressionismus hinaus. Im Prinzip kennen diese Maler 
Materie und Seele. Millet und Segantini stellten nun 
Materie und Seele der objektiven Welt dar, nur dass 
Segantini dann noch eine subjektive Farbensyntetik hin 
zusetzte. Die reinen Farbensyntetiker Hessen das Leben 
in der Natur Leben sein und gestalteten mit ihrer eigenen 
Seele die Materie persönlich. — Ich denke jetzt an Maler, 
deren letzte Art Seurat und Signac waren. Man spricht 
so viel von den Kubisten. Aber ob man nun schliesslich 
die Natur in Würfel stylisiert oder in Punkten wie die 
Pointilisten — ist doch im Grunde egal, es ist doch nur 
, Impressionismus, nur dass er anders angewandt ist. 
Ebenso ist es meiner Ansicht nach mit der Fläche im 
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Sinne Pechsteins usw. Rembrandt kannte auch Seele 
und Materie, nur dass er die Materie nicht mit Farbe 
belebte, sondern dass er sich der schwingenden Materie 
des Lichts bediente — um die scheinbar festgefügten 
Körper zu beleben. Wir müssen nicht insofern über 
den Impressionismus hinausgehen, dass wir nur die Aus 
drucksmittel ändern, ich meine jetzt eiwas wie Kubismus, 
Futurismus oder Pointilismus, sondern wir müssen über 
den Impressionismus als Weltanschauung hinausgehen. — 
Soest, 7. VI. 12. 
Dann habe ich noch einige Bilder gemalt von 
der Natur und habe die Natur in Farbenflammen aufgehen 
lassen. Auf den Bildern ist ein Gezüngel und Geflamme. 
Ich versuche und versuche. Mir fehlt irgend etwas was 
ich noch nötig habe. Das Gefühl verlässt mich einfach 
nicht. Ich habe es schon immer gehabt. Ich habe schon 
nachgedacht, was das wohl sein könnte und bin dabei 
auf die drolligsten und verrücktesten Ideen gekommen. 
Manchmal möchte ich überhaupt so einfach mit dem Spazier 
stock in die Welt wandern um auszusuchen. 
Sie hatten mir geschrieben meine Sachen wären starr 
geworden und das käme daher, dass ich zu rasch vorwärts 
wollte. Sie haben da ganz recht gesehen. Ich wollte zu 
rasch mit zuviel Gewalt vorwärts, dadurch ist in mir eine 
Lücke entstanden. Ich habe den Faden verloren. Die 
Materie und überhaupt die ganze Natur ist nun aber mal 
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in meinen Leib zusammengefasst. Und diese Natur muss 
ich langsam wegräumen. Langsam Schritt für Schritt muss 
ich den Gott, der an meinen Leib gefesselt ist, lösen. — 
Ich will Schritt für Schritt meinen Leib auflösen um den 
lebendigen Geist zu gebären. Ich frage den Willen, geht 
es garnicht anders. Da sehe ich nur ein Nein. Ich kann 
nur Künstler werden, wenn ich mich selbst zertrümmere. 
Tue ich das nicht, dann gelingt es mir nie, die Unend 
lichkeit zu erleben, noch viel weniger mitzuteilen. Ich 
habe mich mit der Tatsache der Opferung abgefunden 
und lächle darüber, dass der Wahnsinn mich erwartet. 
In Köln *) habe ich auch ein Bild von Kokoschka 
gesehen. Wenn man den Sturm gelesen und sich was 
überK. erzählen lassen hat, erwartet man etwas Besseres. — 
Etwas enttäuscht war ich von Munch, den Kerl muss ich 
mir mal näher ansehen. Jetzt habe ich auch einmal van 
Gogh gesehen. Was ist das ein Mensch! Einen sonder 
baren habe ich noch nicht gesehen, den ich nicht kannte, 
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wohl dem Namen nach, aber nicht Bilder: Picasso. — 
Der hatte einige Bilder da, die waren aus lauter Formen 
zusammengesetzt. Leider waren die Sachen etwas starr, 
sie wirkten wie Eisengerüste. Dieser Gefahr scheinen 
überhaupt alle Leute ausgesetzt zu sein, die reine Kom 
position wollen, also nehme ich mich davor in acht. Eine 
Möglichkeit ist das schon, ich meine Picasso, nur glaube 
ich, dass das auch nur ein früher Versuch ist, diese Dinge 
werden einmal ganz anders erfüllt werden. 
Russland, 29. 5. 15. 
Am liebsten haute ich ab und strolchte so in der 
Welt herum. Ich habe überhaupt meinen eigentlichen 
Beruf jetzt entdeckt. Ich habe nämlich keinen Beruf. 
Ich fühle mich zu nichts eigentlich berufen, als wie so 
nichts tun, die Welt ansehen, herum vagieren usw., 
manchmal denke ich denn so, sch- der Hund druf 
oder so was Ähnliches. Wenn ich mir dann so recht 
meiner Taugenichtigkeit bewusst geworden bin, dann 
setze ich mich hin und fange an zu geigen. Natürlich 
ist dies auch zu nichts nutze. Es lebe die Nichtsnutzigkeit 
und ganz Polen mitsamt allen seinen Juden, Russen, 
Sibiriern und weiss Gott mit was für Völker noch! Wie 
ich schon schrieb, vagierte ich am liebsten los. 
Ich habe keine Ruhe mehr. Eine dunkle Macht, der 
Geist der Erde treibt mich einem fernen Ziel zu. Dazu 
kommt dann noch der Kontur. Alle Bilder, die ich so 
malen wollte, die ich aber leider nie gemalt habe, gehen 
mir durch den Kopf. Manchmal weiss ich tatsächlich nicht, 
wie ich mir helfen soll. Meistens mache ich es so, dass 
ich und meine Gruppe ein höllisches Feuer auf die Russen 
loslasse. Neulich habe ich mal 6 Handgranaten in den 
russischen Schützengraben geschmissen. Da hat es aber 
geprasselt. Am anderen Morgen lagen da die Brüder. 
Solche Handbomben wünsche ich mir so für später zum 
Hausbedarf. Das sind famose Aster, bei denen wackelt 
die Wand. Na um auf die Bilder zurückzukommen. Ich 
glaube, dass ich bald daran gehen kann, sie zu malen. 
Nur dieser Simson und der Holzarbeiter machen mir viel 
Sorge. Ich versuche und versuche, die Konturen sausen 
in die Wolken hinauf und um die Erde herum. Aber 
keine Erlösung, keine Erlösung. O weh, o weh. — 
Neulich ist mir mal der alte Rembrandt erschienen. Er 
sagte mir, ich will Dir helfen, achte genau auf alles, dann 
verschwand er grinsend und mit dem Kopfe wackelnd. 
*) Sonderbundausstellung; dort sah auch Morgner die 
ersten van Gogh, während die Bilder Morgners, in denen 
man ihm den Einfluss von van Gogh zum Vorwurf macht» 
1911 entstanden sind.
	        
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