Volltext: Die weissen Blätter : eine Monatsschrift (2(1915),7)

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Rene Scßicfcefe ■ Aisse’ 
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wie gesagt. In der Garderobe des Regenten stand auf einem Posta= 
ment eine Venus, die, weil irgendwie beschädigt, zur Reparatur 
weggebracht worden war. Unsere Stiftsdame schlich sich ins Zimmer, 
entkleidete sich, nahm den Platz der Göttin ein, und wie der Re 
gent sich zur Ruhe begeben wollte — Ich muß sagen, daß die Dame 
von Natur wunderbar geformt war. Jedoch, es zeigte sich, daß sie 
kein Herz besaß. Der Regent mußte ihr bedeuten, daß er es nicht 
liebe, wenn Damen zwischen zwei Bettüchern von Geschäften reden, 
und schickte sie fort . . . Sie scheinen toll vor Liebe und wollen doch 
nur Geschäfte machen. Ein Herz fehlt, ein Herz, das zugleich Franko 
reichs Herz wäre. Denn im Grund ist er der edelste Charakter, ich 
kann sagen, der edelste von allen, die ich kenne.« 
Und er sah Aisse fragend an. 
Sie lächelte. 
»Das begreife ich,« sagte sie, erhob sich langsam, und dann streckte 
sie, wie ein Mädchen, mir, mir, der auf sie zueilte, die kleine runde 
Hand entgegen. Zugleich nahm Charolais den Arm des Kardinals: 
»Kommen Sie, ich möchte den Kerl erst aufspießen, wenn der 
Regent sich zurückgezogen hat. Machen wir unterdessen ein Spiel.« 
»Seit vier Stunden bete ich zur himmlischen Jungfrau, daß sie dich 
schicken möge, um mich zu befreien. Jetzt bist du da.« 
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Wir setzten uns nebeneinander an die Wand, den Saal vor uns, 
und nahmen eine Haltung ein, als ob wir plauderten. So sangen 
wir einander unsere Liebe zu. Wir hätten am liebsten geschwiegen, 
weil wir dann die Stimme am deutlichsten hörten. Aber wir wagten 
es nicht. Gleich hätte sich, mit spöttischem Gesicht, ein Kavalier ein^ 
gefunden und behauptet, daß er die junge Dame unterhalten müsse. 
Wir hockten wie halb versteckt an den untersten Stäben eines 
großen Papageienkäfigs, den von Zeit zu Zeit grelle Flüge durchs 
brausten. Sie störten die sich artig und listig drehenden Tierchen 
gewaltsam auf. Dann war alles ein bunter kreischender Wirbel, der 
den Käfig selber hochzuheben und fortzureißen schien. Aber plötz 
lich standen sie wieder in Reih und Glied, schüttelten zeremoniös 
die Flügel, verteilten sich gravitätisch, zu vier und fünf, auf den
	        
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