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Gfossen
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vermochte. Die Schwäche dieser politischen
Gelenkigkeit, die militärische Uneinheit»
lidikeit und Insuffizienz, sollte durch die
Nachrüstungen Rußlands behoben wer»
den, damit dieses kein zweitesmal vor
einem deutschen Ultimatum zurückweichen
müßte.
In dieser Kräftegruppierung war nur
noch die Stellung Italiens zu bestimmen.
War sie erst noch zu bestimmen? Nach
dem französisch »italienischen Tripolisab»
kommen und der dadurch bedingten Neu»
formulierung des Dreibundvertrages erklärte
Delcasse schon 1902 in öffentlicher Kammer»
Sitzung, die Bundespflichten Italiens seien
»weder direkt noch indirekt gegen Frank»
reich gerichtet«. Und im Jahre 1908 in
Rom erklärte dem Fürsten Trubetzkoi der
französische Botschafter Barrere: Italien
habe endgültig begriffen, daß die Entente»
Politik auch ihm angepaßt sei. Italiens
Großmachtidee zielt auf Vorherrschaft im
Mittelmeer und in der Adria. Seine Mittel»
meerwünsche bleiben gegen England und
Frankreich, mit wessen Unterstützung
immer, unerfüllbar. Im Adriakampf jedoch
glaubte es, mit England und der Entente,
Gewinnaussichten zu haben. Es legte also
seine Politik in der Adria fest, womit es
der Gesinnung nach bereits zur Entente
gehörte. Formal aber, hieß es da, bliebe es
mit Wissen und Wollen der Ententemächte
bis zum Ernstfall im Dreibund, weil dadurch
eine erwünschte Verschleierung der wirk»
liehen Konstellation erzielt würde, und weil
es dort — keine vorzeitigen unbequemen
Ersatzforderungen an die Entente erheben
könnte!
(Dieses Geständnis war schon 1911 russisch
und 1913 deutsch gedruckt zu lesen. Und
wir sind noch 1915 ins mundoffene Staunen
geraten?! Österreich hatte schon länger den
richtigen Instinkt, in Italien nicht sosehr
den Verbündeten, als den natürlichen
Kriegsgegner sehen zu wollen.)
Rußland revidierte daraufhin schnell und
geschickt seine Haltung gegen Italien, das
es bis dahin als quantite negligeable be»
trachtet hatte. Es besteht heute zweifellos
ein Sonderabkommen zwischen Rußland
und Italien, worin Rußland die italienischen
Adriawünsche anerkennt, wofür Italien den
Balkan als Domäne Rußlands respektieren
wird. Die russischen Schützlinge Serbien
und Montenegro hat Italien ebenso zweifei»
los mit Hafenzugeständnissen abgefunden.
Tatsächlich hat es schon auf den Konfe»
renzen nach den Balkankriegen immer die
serbischen Küstenwünsche (gegen öster»
reich) unterstützt.
Die Aufstellung war beendet, der Tanz
konnte beginnen.
*
Betrachtet man die Dinge abschließend:
Rußland als Großmacht fühlt sich in
Asien gesättigt, wird aber bis zum letzten
Atemzug die Lösung der europäischen
Orientfrage in ihrem »heiligen und histo»
rischen Sinne« anstreben. Diese Aufgabe,
vom genialen Pathos eines Dostojewski
und anderer beherrschender Geister Ruß»
lands unermüdlich paraphrasiert, ist heute
die wirkliche Nationalidee des Russentums.
Solange Rußland Großrußland ist, wird es
diesen Gedanken denken, der aus seinem
Schädel nur schwinden könnte, wenn der
Schädel eingeschlagen würde. Vor dieser
Exekution aber müßte man erst billigerweise
Gericht halten, ob Rußlands Wunsch ein
verbrecherischer, oder ein national, kulturell
und wirtschaftlich berechtigter sei. Zudem:
auf dem Berliner Kongreß hatte es in
diesem Punkt noch ganz Europa gegen
sich, heute hat es »zwar neue Gegner, aber
auch neue Freunde«.
Sollte es aber möglich sein, eine Lösung