Gfossen
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vorbeirutschend, zeichnen meine Schnedcen
ihre silfaerschleimigen Wege.
Komm in deinen Garten schlafen, mein
Lenz, küsse auch unsere Gänseblümchen,
sie werden dir einstimmigen Dank aus Mil»
lionen gelber Herzchen sagen. Die Kelche,
die du geöffnet, gefüllt und beduftet hast,
tragen Wein und Rausch meiner Liebe.
Trinke daraus, mein Lenz!
Über mir schwebst du, unsterblicher Täm»
zer, wer kann dich begreifen und greifen!
Mein Geliebter schwingt sich von Beet
zu Beet, die Kissen drückt er nicht ein, auf
welchen er geruht hat, sie wölben sich um
ein Geringes höher, duftiger nach seiner
Berührung.
Er legt sich mir zu Füßen und singt
aus Vogelkehle langatmige Triller, spricht
dazwischen in heilig»sinnlosen Reimen und
lacht, wenn ich zur Nacht den Kindern die
Kelche schließe wie ein Zauberer, der aus
Lachen Gold macht, so daß jede Blüte dem
Gesetze trotzend, vor Andacht noch ein»
mal ihren süßesten Duft aushaucht.
Am andern Morgen tanzt er unter
dem vergrößerten Auge der scheidenden,
schweigsamen Venus zur Raspelmelodie
der Grillen, tritt heimtückisch mit gewölbten
Sohlen auf erste Sonnenstrahlen und über»
springt mit schrillem Pfiff den dunklen
Horizont.
In einer Nacht ließ ich eintausend gelbe
Primeln färben und stellte mich des Mor»
gens schlafend.
Als der Lenz sich prüfend über sie beugt,
entsteigt den Kehlen der blonden Bübchen
ein sinnepackender Duft von Aprikosen»
früchten.
Der Lenz wird rot, weckt mich heiß»
zornig aus erheucheltem Schlaf.
»Ich vergehe,« ruft er und zittert vor
Mittagsglut, obwohl die Sonne noch nicht
so hoch stand. »Du verrietest mich, du
verkauftest mich.«
»Ich, mein Lenz?«
»Du hast mit dem Sommer gesprochen.«
»Mein Lenz?«
»Er gab dir einen neuen Duft.«
»Niemals, mein Lenz.«
»Du hast an den Sommer gedacht.«
»Mein Lenz ...«
»Weh mir, mein Garten, du dachtest an
den Sommer.«
Der Lenz wird schwer und schweigt
sich heiß. •
Ein Seufzer zieht über mich hin, ich
drehe meine Blätterlegionen nach oben. Die
alten Herren bereuen ihr Lachen, aber
keiner kann die Lippen schließen. Wir at»
men nicht, denn ein stärkeres Seufzen haucht
über uns, das uns der Luft beraubt.
Lenz, mein Lenz, deine Lungen öffnen
sich schwer.
Über mir ist ein unsichtbarer Bogen ge»
spannt. Auf mir lastet die Saite. Ein heu»
lender Ton durchreißt mein Eingeweide,
denn in meinem Leibe endet das Beben
der erschütterten Saite. Ging ein Pfeil oder
weinte Musik aus mir? Wo verberge ich
mich? Einer, der keine Tränen besitzet,
möchte sich ergießen.
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Weine, mein Lenz, weine dich aus über
mir, lege dich schlafen in meinen Beeten.
»Du hast an den Sommer gedacht, ich
will dich erschlagen.«
Meine Erde wird trocken vor Angst.
Die Kinder erschlaffen. Meine Schnecken
halten vorsichtig unter welken Blättern.
Da fällt es über uns wie mit eisernen
Riemen, mit Sicheln und Steinen.
Kein Sonnengott wacht über unsere Liebe.
Lenz, mein Lenz, dein Garten wird zer»
schnitten.