Volltext: Die weissen Blätter : eine Monatsschrift (2(1915),7)

Carl Stern heim ■ Napoleon 
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Klopfen und Lockern der Atome angeschwollen, durch Beimischung 
scharfer Gewürze Kiefer und Gaumen jetzt weniger durch Kauen 
als durch Beize beschäftigte, schmunzelte er und trieb die entdeckte 
Kunst zu immer größerer Vollendung. Nun hatte er zwar am 
Schluß des Jahres die Genugtuung eines außerordentlichen Über** 
Schusses, fühlte aber, ihn befriedigten die Grundsätze, nach denen 
er heute Wirt sei, weder in Bezug auf die Beschaffenheit der Gäste 
mehr, noch hinsichtlich der Mittel, die er an wandte, ihre Erwartungen 
zu erfüllen. 
★ 
An einem Sonntagabend lief dicht vor seinen Augen die Wendel** 
treppe zu den Räumen im ersten Stock des Restaurants ein Per 
sönchen empor, das mit Rockrüschen und Volants wie ein Quirl 
über seiner Stirn hüpfte. Die Beine in weißseidenen Strümpfen nahmen 
zwei, drei Stufen auf einmal, und bei jedem Satz federte der Körper 
hoch auf in den Gelenken. Dazu flogen Haare, Federn, Pelzwerk um 
den Kopf, und ein empörtes Hundekläffen kam von ihrem ver** 
mummten Busen her. Mit einem Sprung schwang sie sich oben zu zwei 
Herren an den Tisch und rief klingenden Sümmchens: »Hunger!« 
Napoleon, der auf Zehen vor sie getreten war, durchfuhr's, hier 
sei seine ganze Speisekarte fehl am Ort, und während Röte sein 
Antlitz malte, schlug das Herz Generalmarsch in hastiger, aussichts* 
loser Erregung, was er diesem Püppchen bieten könne. 
Als Madame Valentine Forain stellte sie einer der Herren vor, 
und Napoleons Unruhe wuchs zur Verzweiflung, als er hörte, er 
habe die berühmte Tänzerin vor sich, die seit Wochen Paris be** 
zaubere. »Stillen Sie meinen Hunger mit Luft,« sagte sie, »die den 
Leib nicht beschwert. Sie sehen aus, als verstehen Sie Ihre Kunst. 
Diesem süßen Ungeheuer,« sie wies auf das safranrote Hunde** 
schnäuzchen, das aus einer Spalte ihrer Taille schnüffelte, »reichen 
Sie ein Schälchen zerkleinerter Kalbsmilch.« 
Einen Augenblick blieb Napoleon auf dem Gang zur Küche im 
Dunkeln an einen Pfeiler gelehnt, als habe er einen Schlag gegen 
die Stirn bekommen und müsse sich erst zu neuem Leben sammeln. 
Gleich aber schoß die Stichflamme der Erkenntnis in ihm hoch, hier 
gelte es die Zukunft, und schon spürte er den aus den Kämpfen
	        
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