Volltext: Die weissen Blätter : eine Monatsschrift (2(1915),7)

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Rene Scßicfiefe • Ai'sse 
»Ja, nicht wahr? ein magisches Licht!... Und es ist doch nur eine 
Haus wand, die Wand eines Pavillons. Allerdings eines Pavillons in 
Südindien. Unsere schöne, schöne Sonne! Können Sie verstehen, 
daß fast alle Europäer sie hassen — wie die Schlangen, mehr, als 
die Schlangen, die sie wohl nur fürchten... Ich bleibe einzig und 
allein der Sonne wegen hier... Die schöne Sonne! ... Vor zwei 
Jahren war ich zum letztenmal in Europa... Nie wieder!... Schon 
im Mittelländischen Meer fühlte ich, wie der wolkenlos blaue Himmel 
über uns langsam hinwelkte, das Licht hing stumpf und schwer über 
einem kraftlos glitzernden Meer, das Fenster der Welt schien be 
schlagen — Vierzehn Tage später landete ich in einem feuchtkalten 
Keller. Das war Europa. Jetzt bleibe ich bei meiner Sonne bis 
zum Ende ...« 
Der große blonde Mensch glänzte vor Selbstzufriedenheit, glänzte 
mit kalten blauen Augen und frischrasierten Wangen, die einen 
feuchten Schimmer hatten, gleich den Blüten der Sumpfgewächse 
dort in dem kleinen Teich, und wie er, im weißen Leinenanzug, 
barhäuptig neben mir herging, war er wirklich der biedere Herr 
dieser Palmen, dieser Rasenbeete, dieser roten Sandwege und der 
über sie hinweg durch Licht und Schatten blitzenden Mungos, die 
manchmal wenige Schritte entfernt anhielten, um ihn mit deutlichem 
Wohlgefallen zu betrachten. 
Wir betraten den Pavillon, der vom Rauschen der elektrischen 
Fächer erfüllt war, und wo die Kühle duftete. Weil ich es ab** 
scheulich finde, Kranke durch Neugier zu quälen, schlug ich vor, im 
Wartezimmer zu bleiben, bis die Besuche erledigt seien. Der Arzt 
nickte und ging hinaus, kam aber gleich wieder. 
»Ich habe ein schlechtes Gewissen,« sagte er kindlich lächelnd. »Es 
ist mir eingefallen, daß wir hier einen französischen Herrn aus Pom* 
dichery zu Besuch haben, dem meine liebe Sonne eigentlich recht 
übel mitgespielt hat. Sie verdient also zuweilen den Tadel. Das 
heißt — wie man's nimmt! Kommen Sie, urteilen Sie selbst.« 
Er führte mich in ein großes Zimmer, in dem zwei Betten standen. 
Das eine war leer, in dem andern lag eine alte Hindufrau, das Ge** 
sicht tief in blauschwarzem Haar. Daneben saß ein Europäer, der 
sich bei unserem Eintritt erhob: eine magere, gebeugte Gestalt, unter
	        
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