Rene Scßickefe • Ai'sse
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Mittelgröße, jedoch auffallend breitschulterig. Haupthaar und Schnurr
bart waren schlohweiß. Das fahle Gesicht beunruhigten kleine,
wimmelnde Augen. Aber als ihr Blick sich auf mich legte, empfand
ich etwas zugleich Beklemmendes und Beglückendes, eine gütige
Schwermut, die traurig machte und doch selbst vollkommen leidlos
schien. Vielleicht ist das der Ausdruck des tiefen Glücks, das ja
eben so vereinsamt, wie der große Schmerz.
Der Arzt stellte mich vor. In seinem englischen Französisch fügte
er hinzu:
»Herr Fremard ist ein hervorragender Beamter unserer franzö^
(0
sischen Nachbarkolonie Pondichery, der auf eine mehr als dreißig^
jährige Dienstzeit zurückblickt. Er hat seine erkrankte Frau, übrigens
eine bekehrte Mohammedanerin, wenn ich das erwähnen darf, hier^
her begleitet. Leider wird Herr Fremard uns bald verlassen. Madame
befindet sich auf dem Weg der Besserung.« Dann ließ er mich mit
dem Franzosen allein.
Während ich mich auf einen Stuhl setzte, den der Franzose mir
reichte, wobei er in reizend liebenswürdiger Weise die Unterhaltung
begann, sah die dunkle, verwitterte Frau in den weißen Kissen uns
reglos zu. Sie hatte jene sanften Hinduaugen, die schönsten Augen
der Welt, die mich auf meiner Reise durch Indien begleiteten wie
eine immer erneute Gnade, Schatten und Kühle gewordenes Feuer,
mit einem Blick, der mühelos durch alle Dinge hindurchging, ohne
Stoß sich umsah wie ein beständiger Wind, uralt und eben geboren
— ein Ausdruck Gottes, ein Wunder — die seligen Augen, die
Ewigkeit seliger Augen, die aus den uralten Liebesgesängen Indiens
blicken, wie sie uns noch immer, auf allen Straßen dieses Landes,
hundert^ und tausendmal begegnen, Schatten und Kühle gewordenes
Feuer, schwarzer Diamant, den die indische Sonne flüssig erhält,
große dunkle Tropfen Seele, die, ganz langsam, durch das blendende
Licht fallen. Wie war das lederne, knochige Gesicht, fast schon ein
Totenkopf, von der Schönheit der tiefliegenden, wie halb versunkenen
Augen überschwemmt!
»Ist Ai'sse nicht schön?!« rief der Franzose. Die Frau verstand
offenbar seine Sprache, denn sie verzog die harten Muskeln um
ihren Mund zu einem Lächeln, einem Lächeln, das die zahnlosen