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No 2. OKtöber 1020 I. Jahrg.
Berlin 1920 Von Ernst Richter
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Unheimlich wuchtet dieses steinerne Meer in die rote Zeit. Schwin
gend in Tönen, flutend in elektrischen Farben, berstend von Geräuschen,
ah eine dämonische Kulisse, schräg gegen den fahlen Horizont gestellt,
in dem ein blauer Mond besoffen taumelt. Harfend der Dichter, auf
Stahlsaiten, aufsteigend, Brennendes in sich fressend, Geräusche ver
schluckend, fürwahr ein Nachtwandler, ein grimmassierender Liebhaber.
Berlin — O magisches Zauberbecken, aus dem Wälder auftauchen,
Banken, Bahnhöfe, Paläste, Flüsse, Hochbahnen, Automobile, Luft
schiffe, Cadeten, und Bankdirektoren, Proleten, Pfaffen, Spazier
gänger, Schauspieler und lachende Mädchen. O Buntheit des einzigen
Augenaufschlags, der das Blut in einem Rhythmus rinnen läßt, in einem
neuen frechen Walzer . . . hörst Du? Schieber, Blut, Strolche,
schüttelnde Feldgraue, Hasardeure in allen Farben . . . O, schon
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steigt der Päan aus Schmutz und Rhythmus, schon steigt er in die
Sterne, die großen, betrunkenen, streikfreien Sterne der Welt
metropole, der geeinigten Kommune Groß-Berlin!
Auf dem Bauschutt zerbrochener,zertrümmerter Luftschlösser ver
beugt sich der junge Cutaway mit dem spitzen Kopf, der von innerem
Aufruhr geschüttelt Coupletverse herausschmettert, wie ein Hahn
trompetet, der Wortfetzen von sich schleudert wie ein fanatischer
Schwindsüchtiger den letzten Lungenrest — meine Damen und Herren
in diesem stilvoll gewobenen Rahmen erlaube ich mir den jungen
Dichter Walther Mehring zu präsentieren, der eine besondere Gattung
des politischen Couplets neu belebt, gelvanisiert, schicklich appretiert.
Diese Couplets fassen mit spitzen etwas verdorbenen Fingern den kleinen
Schaumrest von demWeltmeer ab, der Berlin sich benennt, pusten ihn
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