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Scfoaff und flauet
auf, größer, magischer, verwester spiegelnd, ein Embryo, riesenhafter
Ballon, eine Nachtvision mit Schatten, Gespenstern, spiegelnden Er
lebnissen — und davon lebt das nun, dieser junge Dichter. Eine che
mische Reinigung seines Vorbestellungsbestandes würde ergeben, daß
er Mietherr im Kaschemmenviertel ist — aber das lassen wir wohl
bleiben, das wollen wir wohl nicht: wir wollen die Romantik der aller
realsten Ereignisse, wir wollen den Dreck und das Brecheisen, das
Polizeipräsidium und — natürlich — das Gleisdreieck.
Parbleu, dieses Berlin ist eine ganz neue Erfindung, letzte Neuheit
nach dem letzten Streik, vornehmster neuzeitlicher Dessin, in einer
halbseidenen Schieberdestille verstohlen herumgereicht. Das ist unser
Berlin, in dem wir den Bolschewismus bekämpfen, mit roten Fahnen
immer an die Wand lang für die Weltrevolution demonstrieren, Kinos
besuchen, das schlankste Füßchen und die dickste Taille prämiieren —
o Du herrliche Stadt mit der Sicherheitspolizei, Nachtlokalaushebun
gen, Schönheitstänzen und es lebe das natura Ballett! Das Alles,
meine Damen und Herren, finden Sie bei Walther Mehring. Nur,
verstehen wir uns recht, nicht den Worten und Begriffen nach — das
bringt die erste beste Lokalzeitung besser: o nein, keineswegs, viel
mehr als Vorstellung ungewissester und doch präzisester Art, als
schaukelnder Klangfetzen, zerbrochener Rhythmus, eckiger Schrei, als
nachgeschleudertes Wort, als Vokalkette, als Konsonantencascade —
lesen Sie sich das laut vor, meine Herrschaften, es ist einfach der
gute Ton, über das Berlin von 1920 unterrichtet zu sein.
Wirklich: mein ganzes literarisches Milieu stimmt mich zur Seelen-
manicure: hüten Sie sich vor der Rückständigkeit. Dadaistische Aus
stellungen besuchen, ein bischen in expressionistische Filme gehen, der
Consum des Großen Schauspielhauses, die Lektüre der Roten Fahne —
gewiß, das ist alles schon sehr schön, aber fördert wirklich nicht
Ihren seelischen Stoffwechsel wie es die Hygiene verlangt. Tun Sie
etwas für Ihr darbendes Gehirn. Füttern Sie es mit Mehring. Sie
werden begeistert sein von einer neuartigen, entscheidenden Reinigung
der Gehirnbahnen. Sie werden den Kurfürstendamm und die Invaliden
straße, Altmoabit und Bahnhof Alexanderplatz mit neueroberten
seelischen Kräften erleben, die Sie selbst überraschen. Was ist Kola-
Dultz, was ist Yohimbim dagegen! Versuchen Sie es! Vollziehen Sie
Ihre innere Revolution! Man weiß ja nicht, was mit Berlin passiert!
Man muß fest auf seinen Beinen stehen, muß auf Alles gefaßt sein,
was ein sozialistischer Magistrat in die Welt befördert, muß nicht
erschreckt sein, wenn der Magistrat morgen mit schwarzweißroten
Fähnchen durch die Friedrichstraße zieht. Verschaffen Sie sich unter
allen Umständen einen archimedischen Punkt, einen topographisch
sicheren Standort in der geistigen Siedlungsfläche Großberlins. Eine
ernste Lektüre der Mehringschen Couplets bewerte ich wie sieben
halbtiefe Kniebeugen. Gehen Sie an die Arbeit.