142
Der erste, der es unternahm, in programmatischer Einstellung die junge Kunst in Düsseldorf
einzuführen, war Alfred Flechtheim. Trotz scharfer Ablehnung durch eine ganz im Alten be^
fangene Kritik setzte Flechtheim seine Ausstellungen fort. Welchen Anfeindungen und An-
pöbeleien von ganz rechts und ganz links er ausgesetzt war — und ist, davon geben seine Aus
stellungskataloge ein klares Bild. Wer über die Lage der jungen Kunst in Düsseldorf und in den
Rheinlanden schreiben will, darf an diesen Dokumenten des Tages nicht vorübergehen. Dann
kam der Krieg. Flechtheim wurde zum Heeresdienst eingezogen,- er mußte seinen Salon schließen.
Ein paar Jahre hatte die Reaktion die Alleinherrschaft. Dann eröffnete der Kunstfreund und
Sammler Dr. Koch sein Graphisches Kabinett, das in engem Zusammenarbeiten mit J. B. Nem=
mann zum ersten Male in Düsseldorf Heckei, Kirchner, Nolde, Meidner, Schmidt=Rottluff,
Rohlfs u. a. zeigte. Um das Graphische Kabinett sammelten sich in den letzten Kriegsjahren und
während der Revolution alle die, denen die junge Kunst als Gesamterscheinung Flerzenssache
war. Eine wesentliche Stärkung erfuhr der Expressionismus dann durch die Gründung des
»Jungen Rheinlands« durch den Maler Adolf Uzarski. Mit einem Schlage war die bisher zer
streute Anhängerschaft des neuen Geistes eine Macht geworden, mit der jedenfalls die reaktionäre
Gegnerschaft rechnen mußte. Die erste Sonderausstellung der neuen Vereinigung litt zwar an
mäßiger Beschidcung und an zu laxer Jury. Aber Publikum und Kritik mußten sich von nun an
mit der jungen Bewegung auseinandersetzen. Dabei muß ausdrüddidh betont werden, daß die
Kampfesart der jungen Partei durchaus sachlich und ernst blieb. Nur Außenseiter schlugen,
unterstützt von qualitätlosen Skribenten, in ihren Auseinandersetzungen einen Ton an, der die
Grundregeln der guten Kinderstube um so mehr vermissen läßt, als hinter dem Maulheldentum
keine Leistungen stehen. Inzwischen hatte Flechtheim seine Galerie wieder eröffnet: Viegener,
Morgner, de Haer, Heuser, Viamink u. a. stellten hier teilweise erstmalig aus. Ein paar junge
Zeitungen bringen jetzt verständnisvolle Kritiken von Leuten, die mit dem jungen Geiste groß
geworden sind. Die Presse der Rechtsparteien aber steht nach wie vor dem Neuen verständnislos
und ablehnend gegenüber. Viel mehr Sinn für das Neue zeigt die katholische Geistlichkeit und
die katholische Jugend. Gerade in diesen Tagen, wo in Düsseldorf die Katholikenversammlung
tagte, stellte die führende katholische Buchhandlung eine umfangreiche Sammlung von rheinischen
Expressionisten aus,- und typisch ist es auch, daß Thorn-Prikker für die neue Kirche im benachbarten
Neuß die Kirchenfenster lieferte. Das Graphische Kabinett, das jetzt in den Besitz von J. B. Neu
mann übergegangen ist, arbeitet ganz im Sinne des früheren Eigentümers weiter. Den größten
Sieg aber errang die junge Kunst in der eben geschlossenen großen Kunstausstellung, in der zum
ersten Male in Deutschland alle Kunstrichtungen, jede von selbstgewählter Jury beurteilt, neben
einander ausstellten. Da zeigte sich, daß das »Junge Rheinland« alle anderen Vereinigungen an
Mitgliederzahl übertrifft und daß die Durchschnittsqualität der Leistungen eine sehr bedeutende
ist, wogegen prominente expressionistische Künstler hier seltener als in andern Kunstzentren zu
sein scheinen.
Sehr zum Schaden des jungen Geistes besteht auf literarischem und allgemein kulturellem Gebiet
keine eigentliche Kampforganisation. Der »Immermannbund« hält die sichere Mitte zwischen
Altem und Neuem, das Stadttheater besaß bislang keinerlei künstlerische Bedeutung, und das
Schauspielhaus, das unter der Direktion Henckels-Holl der neuesten Kunst in allem stärkste Be
achtung schenkte, hat unter der Leitung der jetzt wieder zurückgekehrten alten Direktion Dumont^
Lindemann eine Richtung eingeschlagen, die immer sterilere Erscheinungen zeitigt und von der
Qualität früherer Leistung und früheren Kunstwillens sich ständig weiter entfernt.
Dr. H. W. Keim