DAS )UNGE SCHLESIEN
I.
Ein böser Geist hat bisher die Kunst Südostdeutschlands zu
sabotieren versucht. Mán nahm die künstlerischen ÁuBerungen
dér jungen und jüngsten Schlesier, nicht ernst oder vernach-
lássigte sie. Wír habén bedauerliche Feststellungen innerhalb
unserer Sprachgrenze rnachen rnüssen, wenn es sich darum han-
d.elte, Kompositionen schlesischer Tonsetzer andererorts aufzu-
führen, Ausstellungen von Bildwerken ohne die Liste dér Pro-
minenten zu veranstalten, Wettbewerbsentscheidungen von ge-
planten Architekturen dér Preiskrönung zuzuführen. Doch ein
N Stamm junger Menschen, dér von dem einheitlichen Lebensstrom
seiner Zeit getragen ist, schafít in -Grenzen, die in mehr ais
nur-lokalen Verhaltnissen Interessé beanspruchen dürfen. Ich
unternehme alsó kein Wagnis, die wirkenden Kráfte vor die
breiteste Öííentlichkeit zu stelien, da ,iihr Schaífen íiiir sie spricht
und ich nur zum Mittler ihres schöpferischen Geistes zu werden
vermochte. Das vorliegende Matériái umfaBt allé Persönlich-
keiten, die auBerhalb dér Rekíamespháre bekannter Künstler
stehen, die . bestimmte Galerién und Verleger um Ottó
M iu e 11 e r, O s k a r Moll, die Dichter Ulitz, Klabund
und Herrmann-Neisse geschafíen habén. Sie habén das
Fórum dér breiíesten Öííentlichkeit erklettert und bediirfen keiner.
neuerlichen Kenntnisnahme. Die kritische Form dieser Einstellung
wird erst denen willkomimen sein, die durch Bedürfnis nach per-
sönlichster Anregung bildliches Austaiuschnrateriail zu Gesicht
bekommen wollen. Zweck dieser Zeilen ist die Verknüpfung des
jungen Schlesien mit den a&tivistischen Kráften des In- und
Auslandes, Basis zu íinden zum Austausch von Beitrágen und
A us sfell ungsob jekten.
II.
Die junge Generálion flieht das Nur-Kunstmachen. Sie ist
im Hamdwerk verwurzelt. Ich bringe absichtlich von manchen
Kiinstlern Arbeiten verschiedener Betátigungsfelder. Nur-Maler
sind die wenigsten. Das Bildermalen war Sache einer früheren
Generation, die jenes Taíelbild von dér Wandeinheit trennte und
den Organismus dér Wandgliederung zerriB. Füllung zu bleiben
einer organischen Entvvicklung schien dér Miibe zu gering. So
ist Anzahl dér Maler und Fülle ihrer Arbeiten ebenfalls
gering. Ich nenne die Maler: Hamis Leistikow, Július
H a b e r f e 1 d, Paul Do bers, Willi J a c o b und Herrmann
Ki r eh ner. Leistikow, handwerklich dér vielseitigste, versucnte
sich bisher in Breslau und Lübeck. Er assistierte dem Stadtbau-
amt und einer Reihe íreier Architekten bei dér íarbigen Raum-
gliederung, schuf eine Anzahl neuer Glasreklámén, versuchte sich
in Typographien und in dér Elerstellung einer Reihe technischer
Verfahren ftir die Behandlung von íarbigen Háuseríronten. Paul
Dobers lebte bisher als Zeichenlehrer in Wahlstadt und wirkt
seit kurzer Zeit an dér Breslauer Kunstakademie. Julius Haber-
íeld, írüher in Breslau, bescháítigt sich reklametechnisch seit
lángerer Zeit in Berlin.
III.
Die Zahl dér Plastiken ist ebeníalls gering, da die Einheit-
lichkeit mit dem Bauwerk als Architektur erstrebt ist. Als
starkste Persönlichkeit íühre ich Róbert Bednorz an, von
dessen drei Bildnisköpfen (Ebért, Moussolini, Lenin) in kurzer
Zeit dér „südostdeutsche Verlag'' eine Sonderpublikation bringen
wird. Zu nennen sind íerner: Kurt Bimler aus Gleiwitz, dér
írüher bei Archipenko arbeitete, dér Holzbildhauer Hellmuth
B en n a aus Ober-Schreiberhau und dér Glasplastiker und
Graveur Richard S ü B m u t h in Pénzig. Dieser ist auí dem
Wege, eine neue technische Durchbildung des Glasschliííes nach
zeitgenössischen künstlerischen Gesichtspunkten nutzbar zu
rnachen. Ich weise vor allém auí die Plastik aus braunem Glas,
die aus dem Block herausgeschnitten ist.
IV.
Für die Geschichte organischer Bauentwicklung ist wichtig
zu sagen, daB Proíessor Ilans Poelzing von 1903 bis 1917
als Architekt und Leiter dér Kimstakademie in Breslau wirkte,
und daB Max B e r g bis zum Február dieses Jahres fást 13 Jahre
láng den Stadtbauratsposten in Breslau mit letzter künstlerischer
Hingebung ausíüllte. Diese beiden Mánner sind es gewesen,^ die
einen Kreis schuíen, aus dem in erweiterter Form eine Füllé
junger Architekten mit moderner Lebensanschauung hervor-
gegangen ist. Poelzig ist dér Schöpíer des Ausstellungs-
gebáudes und dér Pergola an dér Jahrhunderthalle und eines
bedeutenden Geschaítshauses. Berg gab Veranla-ssung zu einem
Stadterweiterungsplan, dér bedeutende Architekturzeichnungen
anláBlich eines Wettbewerbes im Jahre 1921 zeigte. Er ist
Schöpíer dér bekannten Jahrhunderthalle, des Messehoíes, dér
seine letzte künstlerisehe GroBtat darstellt, des Wasserkraftwerkes
„S ti do de r“ und dér Grabkapelle Os s w i t z. Er gab unendlich
viel Anregung für die íarbige Behandlung des Stadtbildes, íür
den modernen Kultbau, íür eine Vereinigung samtlicher Kunst-,
Handwerker-:, technischen und geistigen tiochschulen. Wie immer
bei Führernaturen wurde er heftigst bakámpft und im Február
dieses Jahres von einem undankbaren Magistrat ad acta gelegt.
Neben ihm überragt das Gros schlesischer Architekten Adolf
R a d i n g, zurzeit Leiter dér Architekturabteilung an dér Aka-
demie. Aus seinem Schülerkreis seien íolgende Namen genannt:
Jáger, Lubowsky, A uras, Sprott, Leipziger,
Schöirborn, W als eh. Liefert das Abbildungsmaterial viel-
leicht den Verdacht des trockenen Theoretisierens einer ReiB-
brettarchitektur, so muB Gegenteiliges betont werden: dér
Schülerkreis steht mitten in dér Praxis, Handwerkliches wird
vertieft, technische Neuerungen durchgesprochen, vor allém die
Eigennote jedes einzelnen geíördert. Adolf Rád ing ist dér
einzige schlesische Architekt, dér in Fachzeitschriften schon im
Auslande bekannt wurde. Woran er zurzeit bauí, wird Thema
einer spáteren Veröfíentlichung sein. Wesentlichstes sind seine
organisatorischen Kunstschulpiáne. Vöm stádtischen Hochbau-
amt gilt zu sagen, daB als Mítarbeiter den Stadtbaurat in erster
Linie die Architekten Kempter, H e i m, Anders, M oo s-
hamnter und Baurat Mueller unterstützten. Schöpíerisohe
Eigennote zeichnen die Arbeiten des Stadtbaumeisters K o n-
w i a r z und des Stadtbaudirektors Behrendt aus, dér zurzeit
die Stadterweiterung bearbeitet. Den Kreis íreier Architekten
schlieBen die N.amen Theo Effenberger, Moritz H a d d a,
Gebhard U t i n g e r, Ernst May (den Direktor dér schlesischen
Heimstátten) und Carl-1 iermann R u d 1 o í í ein. Eine Sonder-
stellung gilt Johannes Martens, dér von dér Architektur
kommt und sich in den letzten Jahren als Leiter dér keramischen
Fachschule Bunzlau mit dér Gestaltung neuer Öfen bescháítigt.
, Wie in den meisten Stádten, welche unter dér Geldknappheit
leiden, leidet dér Stamm junger Pioniere unter dem Mangel an
Auftrágen. Deshalb ist es doppelt anerkennenswert, daB mán in
einheitlicher Haltung Stellung nimmt gégén die ami altén Kitsch
klebenden Elemeibe und den Versuch macht, bei aillen Bauten
den Inhalt moderner Lebensauííassung mit GroBziigigkeit in dér
Verwendung. des Vorkriegsmaterials zu vereinbaren. Schlesien
hat nicht den Fehler dér schlechtesten Kriegsbauiweise mitge-
macht, sondern stets versucht, mit geringen Mitteln rentable
Zweckbauten zu schaífen.
V.
An dér Gestaltung des Theaters sind nur drei Menschen
ihtensiv beteiligt: dér Maler Leistikow, dér Regisseur
B. A. Aust und dér Auitor dieser Zeilen. Versuche in kleinerem
AusmaB sind mit dér proletarischen Spielgemeinschaft in den
Jahren 1923/24 gemacht worden, nachdem im Jahre 1921 die
„Genossenschaítsbühne“ ein kurzes, ideel hochstehendes, íinan-
ziell unhaltbares Ende gefunden hatte. Von den geplanten Auf-
íührnugen gibt ein Klischee Kenntnis: zu Bernard Shaws
„Leidenschaít, Giít und Versteinerung“ hat B. A. Aust mit
Unterstiitzung des Malers Leistikow eine Inszenierung vocbe-
reitet. Zurzeit schweben Verhandlungen über die Einrichtung
einer Werkstatt íür íreie Theaterkunst, die sich eine Gruppé
eigenschöpferischer Kráíte heranbilden will.
VI.
Als reprásentative Musiker nennen wir die jungen schlesi
schen Komponisten: Gerhard Strecke, Kari Sczuka, Her-
mann Buchal, Ernst August Voelkel.
VII.
Zu den jungen Dichtertalenten, welche unbeeiníluiBt von dér
Spháre „U1 i t z—K lábún d—-H errmann-Neiss e—G e-
brüder Hauptmann" sind, schaííte B. A. Aust Laut-
gedichte und starke aktivistische Literatur.
Vili.
Für Reklame gilt als Altmeister Erich Murken, in dessen
Geíolgschaít die Namen Arno H a r t w i g, Kurt A h r e n d t
und Adolf Retau-Schweidnitz zu nennen sind. Mit typo-
graphischen Neuerungen beíaBt sich Hanns Leistikow.