Full text: Antoine Pevsner, Georges Vantongerloo, Max Bill

fassung erheben sich sofort scharfe Einwände. Es wird nämlich behauptet, daß 
die Kunst mit der Mathematik nichts zu tun habe und daß Mathematik eine 
«trockene», unkünstlerische Angelegenheit sei, eine reine Angelegenheit des 
Denkens, und dieses sei der Kunst abhold. Für die Kunst sei einzig das Gefühl 
von Wichtigkeit, und das Denken sei schädlich. Weder die eine noch die andere 
Auffassung stimmt, denn Kunst braucht Gefühl und Denken. Als altes Bei- 
spiel kann man immer wieder Johann Sebastian Bach anführen, der doch 
gerade die Materie «Klang» mit mathematischen Mitteln zu vollkommenen 
Gebilden geformt hat und in dessen Bibliothek sich tatsächlich neben den 
theologischen auch die mathematischen Schriften befanden; zu einer Zeit 
also, wo Mathematik noch nicht und nicht mehr dafür in Anspruch genom- 
men wurde, im Gestaltungsprozeß formend mitzuwirken. 
Es ist nötig, immer wieder zu betonen, daß eines der wesentlichen Merkmale 
des Menschen das Denken ist. Das Denken ermöglicht es auch, Gefühlswerte 
in einer Weise zu ordnen, daß daraus Kunstwerke entstehen. Das Ur-Element 
jeden Bild-Werks aber ist die Geo-Metrie, die Beziehung der Lagen auf der 
Fläche oder im Raum. Und so, wie die Mathematik eines der wesentlichen 
Mittel zu primärem Denken und damit zum Erkennen der Umwelt ist, so ist 
sie auch in ihren Grundelementen eine Wissenschaft der Verhältnisse, des 
Verhaltens von Ding zu Ding, von Gruppe zu Gruppe, von Bewegung zu 
Bewegung. Und weil sie diese grundlegenden Dinge in sich schließt und sie 
sinnvoll in Beziehung setzt, ist es naheliegend, daß solche Ereignisse auch 
dargestellt werden, Bild werden. Nun sind solche mathematische Darstellun- 
gen von alters her bekannt. Es geht von ihnen eine unbestreitbar ästhetische 
Wirkung aus; so auch von den mathematischen Raummodellen, die beispiels- 
weise im Mus&e Poincar€ in Paris aufgestellt sind. Diese Grenzfälle, wo 
Mathematik sich plastisch manifestiert oder als Farbe und Form auf der 
Fläche erscheint, bedeutete bei der Suche nach neuen künstlerischen Aus- 
drucksmöglichkeiten vorerst etwa dasselbe wie die Entdeckung der Neger- 
plastiken durch die Kubisten. Aber sowenig die Negerplastiken in ihrer kul- 
tischen Eigenart in die europäische Kunst übernommen werden konnten, so- 
wenig ist es möglich, die mathematischen Modelle in die Kunst zu übernehmen, 
und ihre Entdeckung durch die Künstler führte vorerst lediglich zu einem
	        
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