Vittore Carpaccio
Venezianischer Maler, geboren 1455 oder 1456, gestorben gegen 1525. Er wurde durch
Gentile Bellini in die Kunst eingeführt, ohne daß er darüber das Studium Giovanni
Bellinis, Antonellos und der flämischen Malerei vernachlässigt hätte. Mit den beiden
großen Bilder-Zyklen der Ursula-Legende von 1490—1496, heute in der Accademie von
Venedig, und der Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni erwies er sich als geborener
Erzähler mit einer Neigung zum Exotischen und Märchenhaften. In seinen Werken
schließen sich die zahlreichen, mit liebenswürdiger Feinheit beobachteten und fest-
gehaltenen Einzelheiten in klaren Architekturen zu einem wohlerwogenen Ganzen zu-
sammen, in dem man des Künstlers Gefühl für Raum, Raumrhythmus und Atmosphäre
bewundert. Wie auch die schönen Zeichnungen deutlich machen, neigt Carpaccio dazu,
die rein linearen Umrisse durch den malerischen Farbauftrag überflüssig zu machen,
ohne deswegen den Formen etwas von ihrer Bestimmtheit zu nehmen. Die Bilder gewinnen
so Weichheit und Atmosphäre in Uebereinstimmung mit ihrer genußvoll ausführlichen
Erzählweise.,
692 DIE HEILIGEN JAKOBUS, ANTONIUS, ANDREAS, DOMINIKUS,
LAURENTIUS UND NIKOLAUS VON BARI
Holz 130X 155
Bergamo, Galleria dell’Accademia Carrara, Nr. 104
Stammt aus der Sakristei der Kirche 8. Alessandro in Bergamo. Später hinzugefügte Bezeich-
nung: BATT. CIMA. CONILIENSIS 1515. Früher dem Girolamo da Santacroce zugeschrie-
ben, von Longhi (181, S. 4—11) dem Carpacecio gegeben, datiert ca. 1500, was auch Van Marle
(201, XVIII, 8.300) übernimmt, während Berenson (33, 8.115) es als ein Werkstattbild
erklärt und Fiocco (100, S. 122) den Namen Andrea Previtali vorschlägt wegen des vorwie-
gend dem Cima verpflichteten Stils.
Das Werk paßt sich gut in die Frühzeit des Carpaccio ein, als er noch unter dem Einfluß von
Antonello und Giambellino stand. Vor einem heiteren Landschaftsgrund heben sich die sechs
Figuren in machtvollen Zweiergruppen ab, deren einfacher Rhythmus nur durch das Zurück-
treten der beiden Seiten-Paare im Raum leicht variiert wird.
693 GEBURT DER MARIA
Leinwand 126 X 129
Bergamo, Galleria dell’Accademia Carrara, Lochis, Nr. 155
Bezeichnet rechts unten: VICTOR CARPATIUS Vs FACEBAT. Gehört zu einem Zyklus
von sechs Erzählungen der Marienlegende, der beim Maler 1504 von der Scuola degli Albanesi
bei San Maurizio in Venedig bestellt wurde und heute in den Museen Bergamo (Accademia
Carrara), Mailand (Brera) und Venedig (Museo Correr und Accademia) zerstreut ist. Fiocco
(103, 8.37 ff, 76) hält die Mariengeburt für die interessanteste und ausgeglichenste Arbeit
des ganzen Zyklus, an dem sonst ziemlich viel Gehilfenarbeit festzustellen ist. Das Thema
ist für Carpaccio ein Vorwand, um das Innere eines vornehmen venezianischen Hauses zu
schildern, wo in der Perspektive verschiedene Räume sichtbar sind. Einiger Schwerfälligkeit
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