eindrang, gelangte Tizian in seinen letzten Werken zu einem faszinierenden „magischen“
Impressionismus, in dem die Farbe, ihres Stoff-Charakters entkleidet, den Dingen ein
vibrierendes Leben im Licht gibt und eine zauberhaft visionäre Atmosphäre schafft.
Als hervorragender Porirätist, objektiv und — indem er dem Dargestellten etwas vom
Glanz der eigenen Natur gab — zugleich höfisch verbindlich, arbeitete Tizian in Venedig,
Eom und Augsburg und wurde von den glänzendsten Höfen Italiens und Europas um-
worben. Nach Giorgiones Tod unbestrittener Beherrscher der venezianischen Kunst, gab
er dieser, aus ihren eigenen Voraussetzungen heraus, jene aus der Farbe gestaltende
malerische Richtung, die für Jahrhunderte den Weg der europäischen Malerei bestimmte.
728 MARIA MIT DEM KIND
Holz 47X28
Bergamo, Galleria dell’Accademia Carrara, Lochis, Nr. 195
Die alte Zuschreibung an Tizian, von einigen Kritikern zu Unrecht bestritten, ist von Longhi
(186, S. 64), welcher eine Datierung vor 1510 vorschlägt, und Swida (301, 8. 57) voll bestätigt
worden. Weniger entschieden ist Berenson, welcher an die Möglichkeit einer Kopie Carianis
nach Tizian denkt. Richter (272, S. 230) sieht in dem Werk eine im Stil ausgesprochen tizia-
nische Wiederholung der Madonna Exeter in der Sammlung Bache in New York.
Die Komposition, welche Maria mit dem Kind allein in einen weiten, ruhig-heiteren Land-
schaftsraum versetzt, ist bei Tizian etwas ungewohnt. Indem der Künstler die einzelnen
Flächen seiner warmen Farbtöne in Abstufungen mit Licht durchdringt, gewinnt er eine
Modellierung ohne die Härte trennender Linien und Umrisse und läßt seine Gestalten, ein-
gebettet in die Landschaft, teilnehmen am panischen Atmen der Natur.
729 ORPHEUS UND EURYDICE
Holz 53X39
Bergamo, Galleria dell’Accademia Carrara, Lochis, Nr. 205
Wurde früher allgemein für ein Werk des Giorgione oder die zeitgenössische Kopie eines
solchen gehalten. Diese Zuschreibung wurde schon von L. Venturi (320, 8.155) abgelehnt;
E. Longhi (186, S. 64), dem sich Suida (301, S. 17, 179) und Morassi (217, 8. 181) anschlossen,
sieht darin die Handschrift des jungen Tizian in seiner ersten Epoche, vor 1510.
Die hohe Qualität des Bildes zeigt sich besonders deutlich in der lufterfüllten Landschaft,
welche in dem baumbestandenen Hügel und den von Flammen erhellten Bauten rechts, mit
denen wohl der Eingang zur Unterwelt gemeint ist, eine glühende Kraft der Farbe gewinnt.
730 POLYPTYCHON. MITTE: AUFERSTEHUNG CHRISTI UND DIE ZUM GRABE
SCHREITENDEN HEILIGEN FRAUEN; UNTEN LINKS: DER STIFTER MIT
DEN HEILIGEN NAZARUS UND CELSUS; UNTEN RECHTS: DER HEILIGE
SEBASTIAN, IM HINTERGRUND DER HEILIGE ROCHUS MIT DEM IHN
PFLEGENDEN ENGEL; OBEN LINKS UND RECHTS: VERKÜNDIGUNG.
Holz, Mitteltafel 122 X 278, obere Seitentafeln 65 79, untere Seitentafeln 65X 170
Brescia, Kirche Santı Nazaro e Celso
Bezeichnet auf der Säulentrommel zu Füßen Sebastians: TICIANUS FACIEBAT MDXXI[I.
Das Polyptychon wurde 1520 vom päpstlichen Legaten Altobello Averoldi für die Kirche Santi
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