Was die Trivulzio-Verkündigung anbelangt, so bemerkt Venturi, daß sie im Stil außerordent-
lich verschieden ist von der Gruppe des heiligen Markus, und er bezeichnet sie als ein Meister-
werk der byzantinischen Schnitzkunst des 10. Jahrhunderts.
Als Maclagan 1921 das Fragment des Wunders von Kana publizierte, stellte er zunächst fest,
daß alle zwölf von ihm verglichenen Elfenbeinarbeiten aus Gründen des Stils und auch der
Maße Teile eines einzigen Ganzen gewesen sein müssen, und macht sich somit die Graevensche
Theorie zu eigen, indem er sie noch ausbaut durch neue Vergleiche (Elfenheinarbeit Nr. 4 des
Louvre mit Markus und den 35 ihm nachfolgenden Patriarchen, Marmorrelief des 5.—6. Jahr-
hunderts im Museum von Alexandria) und Hinweise (die Priestergewänder der Mosaiken von
Ravenna, Miniaturen aus dem Evangelium von Rabula).
Als letzter bestätigt schließlich auch Delbrueck (81, S. 25) Graevens Datierung, den ägypti-
sierenden Stil, die Vornehmheit, den Realismus und die Ausdruckskraft.
Folgerung: auch wenn sie in einem gewissen Moment ein Ganzes gebildet haben — die Kanzel
von Grado —, so scheinen doch die acht Elfenbeinarbeiten von Mailand nicht von der gleichen
Hand zu stammen. Tatsache scheint — wenn man den Markus in Aquileja ausschließt, da er,
nach übereinstimmender Meinung, von gröberer Ausführung ist und wohl nur ein anderes,
gleichnamiges Stück ersetzt —:
Il. daß der Heilige Menas, der mit seinen Kamelen vor seiner Basilika dargestellt ist (Cabrol,
I, 1124), von feincrer, sicherer und lebenswahrerer Darstellung ist als die Stücke der
Geschichte des Markus und daß daher nur er ganz sicher den alexandrinischen Werkstätten
des 6. Jahrhunderts zugeschrieben werden kann;
II. daß die Trivulzio- Verkündigung (trotzdem sie die gleichen Maße und dieselhen Löcher zur
Befestigung aufweist wie die Auferstehung des Britischen Museums) in Stil und Technik
so grundverschieden von den übrigen Stücken ist, daß ihre — wenigstens ursprüngliche —
Zugehörigkeit zur Kanzel ausgeschlossen erscheint, und daß sie als byzantinische Elfen-
beinarbeit des 7. Jahrhunderts betrachtet werden muß (Molinier, 209, S. 77) ;
III. was die Geschichten des Markus anbetrifft, so müßten sie, wenn sie tatsächlich für den
ursprünglichen Patriarchensitz in Alexandria bestimmt gewesen wären und dort zur Zeit
der hervorragendsten künstlerischen Produktion auf diesem Gebiet entstanden, von so hoher
Qualität sein, daß sie dadurch allein ihre Herkunft verriete, auch ohne Hilfe durch die
Beweisführung von Graeven, Strzygowski und Maclagan. Dies läßt sich anderseits aber zu
gunsten der Theorie von Venturi sagen, gegen welche zwar nicht die mangelnde künst-
lerische Fähigkeit der italienischen Handwerker des 12. Jahrhunderts spricht — denn der
Altar von Salerno steht, was die technische Geschicklichkeit anbelangt, keineswegs hinter
den Mailänder Arbeiten zurück —, wohl aber die Tatsache, daß die stilistische Aehnlich-
keit zwischen den Werken in Mailand und in Unteritalien doch wohl nicht ganz so zwingend
und vollständig ist, wie es dem Meister der italienischen Kunstgeschichte und Bertaux
schien.
Syrisch (?), um 520 n. Chr.
61 SOGENANNTES DIPTYCHON DES MAGNUS
Elfenbein 13 X 26,2
Mailand, Civico Museo d’Arte del Castello S£orzesco
Einzeln erhaltene (vordere) Tafel. In frontaler Ansicht thront der Konsul im Triumphal-
Ornat mit Zepter und Mappa. Zu beiden Seiten die Personifizierung von Konstantinopel mit
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