Der erste moderne Gelehrte, der sich mit dem Einband beschäftigte, Courajod (71, 8.390),
zögerte, an das hohe Alter dieses kostbaren Schatzes und an die gleichzeitige Entstehungszeit
der beiden Deckel zu glauben. Für Salmi (282, S. 158) kann die Datierung des ganzen Kunst-
werkes zwischen 1018 und 1045 und seine Zugehörigkeit zur westlichen Kunst keinem Zweifel
unterliegen. Metz (205, 8. 247) hebt den byzantinischen Charakter der geometrischen Email-
motive hervor.
Zur an sich schon außerordentlich großen künstlerischen und historischen Wichtigkeit des
Werkes kommt die Tatsache hinzu, daß es sich hier um das erste bestimmt datierbare Beispiel
romanisch-lombardischer Goldschmiedearbeit und eingelegter Emailalveolen in Westeuropa
handelt.
Erwähnt im Inventar des Doms von 1445, publiziert von Magistretti (192, Nr. 56).
Rheinisch (?), 12. Jahrhundert
80 BUCHDECKEL EINES EVANGELIARS, „LA PACE DI CHIAVENNA“
GENANNT, 12. JAHRHUNDERT
31X<40,4
Chiavenna, Chiesa Arecipretale di S. Lorenzo
Vorderer Deckel eines Evangeliars aus 25 dünnen Goldplättchen auf Nußholztafel. Um ein
zentrales doppelrandiges Medaillon aus Filigran und Steinen mit Kreuz in der Mitte die
getriebenen und ziselierten Symbole der vier Evangelisten und eine Verzierung mit 16 Medail-
lons aus Filigran, eingelassenen Steinen und Perlen sowie 16 Emailmosaiken. Von diesen
Emailblättehen sind vier oval, mit den Darstellungen des triumphierenden Christus, der Ver-
kündigung und der Heimsuchung. 12 sind rechteckig mit verschiedenen geometrischen Zeich-
nungen, Die rechteckigen Blättchen sind so angebracht, daß sechs in Zeichnung und Farbe
sechs auf der anderen Seite entsprechen.
Die ovalen Medaillons (höchster Durchmesser 7) aus Zellenemail zeichnen sich durch die
Durchsichtigkeit und die Feinheit der Ausführung aus und zeigen, laut Morassi (214, Nr. 13),
starken byzantinischen Einfluß. die Inschrift: VIVANT IN CHRISTUM REGNUM
TENEANT PER IPSUM Q (ui) FECERANT TANTUM FACIUNTVE CONDERE
FACTUM, war Anlaß langer Kontroversen über die Interpretation, ohne daß jedoch die
Herkunft oder die Datierung der Tafel geklärt worden wären, welche noch von Venturi (311,
IT, 242) dem 9. Jahrhundert zugeschrieben und in die Nähe des Altars von Volvinus gebracht
wurde. Wurde zuerst von Santo Monti (210, S. 179—190) der richtigen Epoche zugeteilt.
Einheitliches Werk, eines der bedeutendsten des 12. Jahrhunderts. Wird meistens der in
höchster Blüte stehenden rheinischen Schule zugeschrieben. Dies ist wenigstens die Meinung
der meisten Forscher, ausgenommen Morassis, der zögernd, ohne es zu belegen, aber vielleicht
an das Evangeliar Ariberts denkend, die Tafel als lombardisches Werk bezeichnet.
Im Inventar der Kirche schon 1486 als vorhanden erwähnt.
Ausgestellt in der Ausstellung alter italienischer Goldschmiedekunst, Mailand, Triennale 1936
(214, Nr. 13).
74