Unter dem Gewicht der eigenen Forderung nach künst- 
lerischer Vollendung zögert Rouault anderseits oft, ein Bild mit 
Aufsetzung der Signatur als fertig zu erklären, gewissermaßen 
aus der Werkstatt zu entlassen. So läßt er sie manchmal durch 
Jahrzehnte als unfertig nicht aus der Hand, um unter ständiger 
Ueberprüfung und mit Verbesserungen sie völlig reif werden zu 
lassen — so hat auch Edvard Munch es gehalten — oder er 
nimmt, wie dieser, ältere fertige Bilder vor, um sie in einer 
neuen Fassung oder durch Uebermalung auferstehen zu lassen. 
Beide Wege hat auch Hodler beschritten. Die Uebermalungen 
können nur stellenweise, oder vollständig, in einem Male, oder 
in mehreren Etappen, und mit mehrfachen Farbschichten über 
einander erfolgen. Damit wird in manchen Fällen die Frage der 
Datierung, Element einer jeden wissenschaftlichen Betrachtung 
und Bearbeitung eines Einzel- und eines Gesamtwerkes, un- 
lösbar. 
Rouault sieht dabei kein Unglück. Er schreibt von den Kriti- 
kern und Literaten «....Ces messieurs, sans le vouloir pro- 
bablement, deforment tout en croyant tout expliquer: pens&e, 
volonte, sensibilite d’un artiste, et le tondent comme Dalila ton- 
dit Samson », oder: « Un art epique et legendaire surtout Echappe 
ä un exercice de ‚dissection‘ inintelligent, qui croit ne rien 
laisser dans l'ombre >» 
In den Bildern von Rouault aus der neuesten Zeit ist die 
«Materie» mit den Händen zu greifen. Sie sind wie Butterbrote 
auf die Leinwand gestrichen, die Farbpflaster gelegentlich fast 
fingerdick. Die Bilder aber leuchten. Der Künstler will, daß sie 
leuchten von überirdisch himmlischem Licht. Wieder, wie in 
den ersten Jahren im Atelier Gustave Moreau, treten bei ihm 
Themen aus der Bibel und dem Neuen Testament, kirchliche 
Themen allgemein, in den Vordergrund. Es ist wie ein Auf- 
wachen komprimierter bretonischer Katholizität vom Vater und 
seinen Vätern her. Man frage nicht, wie diese Frommheit mit 
dem sonstigen Bekenntnis zu den weltlichen Erscheinungen in 
den Frauenhäusern, in der Welt von Jahrmarkt und Zirkus, und 
IX 
50
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.