SD
Max Bill
Worte rund um Malerei und Plastik
(über den Sinn theoretischer Artikel, Werktitel und Begriffe)
Es mag manchem Betrachter moderner Kunst schon aufgefallen
sein, daß wir selbst immer wieder zur Feder greifen; denn öfter
kann man vernehmen, daß Maler zu malen, Plastiker zu pla-
stiken, Schuster zu schustern, also bei ihrem Leisten zu bleiben,
nicht zu schreiben, geschweige denn zu denken hätten.
Diese weitverbreitete Ansicht ist falsch. Heute wird viel und
über alles geschrieben. Von dem, was über Kunst geschrieben
wird, ist das wenigste authentisch, und daher wird das wenigste
der Kunst gerecht. Vor allem über neuste Kunst werden Urteile
meist ohne die nötige Verantwortung gegenüber einem mög-
lichen Fortschritt, ohne die nötige Kenntnis und Erkenntnis,
sondern meist unter dem Eindruck der persönlichen Eindrücke
des Kritikers gefällt. Diese aber sind nicht maßgebend zur
Beurteilung künstlerischer Ereignisse; dafür ist allein der
Künstler verantwortlich, denn er kennt die Zusammenhänge
seiner Arbeit; er ist Mittler zwischen dem rein Erfindungs-
mäßigen, dem rein Sentimentalen, dem rein ästhetischen Be-
dürfnis seiner Epoche. Es sind also einzig die Aeußerungen der
Künstler authentischer Ausdruck ihres Denkens. Richtigkeit
und Richtung dieses Denkens sind maßgebend für das Aus-
sehen und den Gehalt des Kunstwerkes; denn letzten Endes
ist jedes echte Kunstwerk nicht nur ein Spiel mit gegebenen
Möglichkeiten, sondern in weit bedeutenderem Maße die Manife-
station einer bestimmten Geisteshaltung und Weltanschauung.
Bildende Kunst ist also im Schlußresultat optisch dargestellte
Philosophie, gestaltete Moralität. Deshalb ist es wesentlich,
welche moralische Haltung dem Kunstwerk zugrunde liegt und
wie weit persönliche Verantwortung oder Zufall den Anstoß
zum Zustandekommen eines Kunstwerkes geben.
Schon daraus ist leicht zu erkennen, weshalb Künstler denken
müssen und weshalb sie gezwungen sind, auf andere Weise ihre
Gedanken zu formulieren als ausschließlich innerhalb ihrer
Werke. Aber trotz diesen mehr aus äußerer Notwendigkeit ent-
stehenden authentischen Aeußerungen bestehen öfter Unter-
schiede zwischen theoretischer Feststellung und erreichtem
Resultat; schon aus diesem Grunde verläßt sich der Betrachter
moderner Kunst mit Vorteil auf den Eindruck, den er selbst
empfindet, wenn er die Werke offenherzig betrachtet.
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