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nicht einem elenden ästhetischen Distraktionstrieb, son
dern dem uralten vitalen Bedürfnis des Intellekts nach
Befreiung aus dem trügerischen und langweiligen Para
dies der fixen Erinnerungen und nach Erforschung eines
neuen, ungleich weiteren Erfahrungsgebiets, in welchem
die Grenzen zwischen der sogenannten Innenwelt und
der Aussen weit (nach der klassisch-philosophischen Vor
stellung) sich mehr und mehr verwischen und wahr
scheinlich eines Tages (wenn präzisere Methoden als
die öcriture automatique gefunden sind) völlig ver
schwinden werden. In diesem Sinne konnte ich wohl
ohne Prätention eine Folge von Tafeln, auf denen ich
eine Reihe von optischen Halluzinationen mit grösst-
möglicher Präzision festgelegt hatte, als „Histoire na
turelle“ bezeichnen. Die revolutionäre Bedeutung dieser
erstlich vielleicht absurd anmutenden Naturbeschreibung
wird vielleicht deutlicher dadurch, dass analoge Resul
tate aus der modernen Mikrophysik vorliegen. P. Jordan
stellt als Resultat einer Messung an einem kraftfrei
bewegten Elektron und nachheriger Messung des Orts
fest: „Aber dieser Unterscheidung (von Aussen- und
Innenwelt) wird eine Hauptstütze entzogen mit der
experimentellen Widerlegung der Vorstellung, dass in
der Aussenwelt Tatbestände vorliegen, welche unab
hängig vom Beobachtungsprozess ein objektives Dasein
besitzen.“
Wenn man also von den Surrealisten sagt, sie seien
Maler einer stets wandelbaren Traumwirklichkeit, so darf
das nicht etwa heissen, dass sie ihre Träume abmalen (das
wäre deskriptiver, naiver Naturalismus), oder dass sich
ein jeder aus Traumelementen seine eigene kleine Welt
aufbaue, um sich in ihr gütlich oder boshaft zu gebärden
(das wäre „Flucht aus der Zeit“), sondern dass sie sich auf