EINFÜHRUNG IN DIE AUSSTELLUNG
Wenn in Venedig in der Scuola di San Rocco der staunende Blick
sich auf die Bilderwände des Tintoretto heftet, so ist die Antwort
auf die Frage, wem von den unsrigen, nördlichen Künstlern gleich
hoch gestimmte Kraft der Erfindung, ähnliche Größe der Erregung
eigne: Nur Delacroix. Und wirklich besitzt, wie Venedig in Tintoretto
mit seinen Bilderfolgen im Dogenpalast, in San Marco, Santa Maria
dell’ Orto, Santa Catarina, San Rocco, San Giorgio Maggiore, in den
Hallen der Bruderschaften von San Rocco, San Marco, Della Trinitä,
mehr als dreihundert Jahre später, Paris seinen Maler für Kirchen
und Paläste in Delacroix. Den Staatsgemächern im Dogenpalast und
den Versammlungshallen der venezianischen Kleriker entsprechen in
Paris die Galerie d’Apollon im Louvre, der «Salon du Roi» und die
Bibliothek der Deputiertenkammer im Palais Bourbon, die Bibliothek
des Senats im Palais du Luxembourg, den venezianischen Kirchen-
bildern die Pieta der Marienkapelle von Saint-Denis du Saint-Sacre-
ment und die Engelkapelle von Saint-Sulpice. Und wie in Venedig
1577 die 1573 vollendete Riesenleinwand der Schlacht von Lepanto
von Tintoretto verbrennt, so 1871 die 1849 bis 1853 gemalten Decken-
bilder des «Salon de la Paix» im Pariser Rathaus von Delacroix.
Zu den großflächigen und meist vielteiligen Pariser « Dekorationen»
kommen ein Dutzend übergroßer Einzelbilder, gewaltige Kompo-
sitionen von drei und vier Meter und noch mehr Breite und Höhe:
Das Massaker von Chios von 1824, Christus am Ölberg 1826, Kaiser
Justinian als Gesetzgeber 1826 (1871 verbrannt), der Tod des Sarda-
napal 1827, Die Barrikade 1830, Die Schlacht bei Nancy 1834, Der heilige
Sebastian von Frauen gepflegt 1836, Die Schlacht bei Taillebourg
1837, Die Gerechtigkeit des Trajan 1840, Die Kreuzfahrer in Konstan-
tinopel 1840, Der Tod des Marc-Aurel 1844, Der Sultan von Marokko
1845, Die Löwenjagd 1855. Auch in den Ausmessungen immer noch
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