Es gab tatsächlich unter den Kunstfreunden eine Meinung, die für
Amiet und Hodler ein gleiches oder doch gleichartiges Ziel zu erkennen
glaubte, sie aneinander maß und als Wettläufer auf die gleiche Strecke
setzte. Sie übersahen, daß Hodler inmitten eines bereits zum Teil erfüllten
Werkes stand, als Amiet das seinige eben erst aufzunehmen begann. Bei
der ersten persönlichen Begegnung 1893 war Hodler 40 Jahre alt, Amiet
25. Einige Jahre darauf, 1897, arbeiteten sie mit- und nebeneinander, als
Amiet von Oscar Miller den Auftrag zu einem Hodlerbildnis erhalten hatte
und Hodler vor den Kartons zu «Marignano> ihm saß. Die Werke, die
Hodler damals vollendet oder im Werden um sich hatte und deren Ueber-
macht der junge Freund ausgesetzt war, sind: «Die Nacht», «Die Ent-
täuschten», «Die Lebensmüden», «Aufgehen im All», von 1891/92, «An-
betung» und «Der Auserwählte» von 1893, die aus dem «Auserwählten»
hervorgegangenen knienden und stehenden «Knabenfiguren» von 1894,
«Eurhythmie» von 1895, das blumenpflückende Mädchen von 1897, die
gewaltigen Studien und Kompositionen zum «Rückzug von Marignano»
von 1896/98, dann «Der Tag» von 1898/1900, und von 1901 «Der Frühling»,
1902 «Die Wahrheit», 1903/04 «Die Empfindung», «Der bewunderte Jüng-
ling» und «Blick ins Unendliche», 1907 «Die Heilige Stunde», 1908 «Die
Liebe».
Ueber das Rüstzeug, um Hodler es in den Ausdruckmitteln gleichzu-
tun, verfügte Amiet durchaus. Er hatte im Lehrjahr 1885 bei Buchser
zeichnen gelernt, zeichnete zwei Jahre in den Klassen der Münchner Aka-
demie und noch 1888—1890 in der Academie Julian in Paris. Ein Bruch
gegenüber den nach unsern heutigen Begriffen eher gedämpft ineinander-
gebetteten Farben der bretonischen Zeit ist nach der Berührung mit Hod-
ler im Werk von Amiet unverkennbar. Das Hodlerbildnis von 1898 und die
«Richesse du soir» mit den fünf über die Wiesen wallenden Berner Mäd-
chen, — eine ländliche Eurhythmie — sowie nach kurzem, pointillistischem
Intermezzo von 1900 wieder «Die Hoffnung» von 1902, das Gartentrip-
tychon mit den drei Frauen in Jugendstil-Gewändern, verschiedene Einzel-
figuren dieser Zeit haben sich wohl für die überraschten Zeitgenossen
stärker abgehoben von der ihnen geläufigen Malerei des fin de siecle als
von den damals allgemeiner noch kaum recht erfaßten Hodlerschen
Formen.
Aber wie er sich den für Mannesleistung stets entscheidenden vierziger
Jahren nähert, reißt er sich los. Mit Bildern wie den «Sonnenflecken» von
UT