Ein reiches Künstlerleben hat durch den Tod Ottilie W. Roedersteins
am 27. November 1937 seinen Abschluß gefunden. Leidenschaftliche
Arbeit hat es ausgefüllt, bis wenige Tage vor dem Ende die Kräfte der
Nimmermüden plötzlich versagten und das Atelier, in dem Bilder noch
kaum getrocknet auf den Staffeleien standen, verwaiste.
Ottilie kam als Kind deutscher Eltern in Zürich zur Welt. Schon früh
war Zeichnen ihre liebste Beschäftigung. Zum großen Jugenderlebnis
wurde ihre Begegnung mit Maler Pfyffer, als dieser ihre Eltern und die
drei Töchter porträtierte. Während der Künstler malte, porträtierte die
neunjährige Ottilie ihre Puppen mit Geschick. Der Maler spendete ernst
gemeinten Beifall und entzündete im Kinde den Funken, der sich zum nie-
mehr erlöschenden Feuer entfachte. Doch wurde es der Tochter nicht
leicht, die innere Berufung bei der Mutter durchzusetzen. Mit 16 Jahren
verließ sie die Schule und gab sich Zeichen- und Malarbeiten hin. Ein
eindrucksvolles Porträt des Großvaters (Katalog Nr. 55) erbrachte den
unwiderlegbaren Beweis des Talentes und eroberte der Siebzehnjährigen
die Erlaubnis, in Pfyffers Malschule in Zürich einzutreten. Die Verheira-
tung der älteren Schwester nach Berlin öffnete Ottilie «nach harten
Kämpfen» im Alter von 19 Jahren die Möglichkeit, sich im Atelier des
Malers Gussow weiterzubilden. Dort gelangte, auch durch das Studium
der alten Meister gefördert, das Können der Künstlerin zur vollen Reife.
In diese Zeit fiel ihre Begegnung mit Karl Stauffer, Bern, der sie gern als
Schülerin in seinem Atelier gesehen hätte. Der Sinn Ottilie Roedersteins
war aber nach Paris gerichtet, wo sie als Schülerin von Carolus Durand
und Henner aufgenommen wurde. Im Porträt der Frau M. (Nr. 57)
offenbart sie Selbständigkeit und Kraft in der Meisterung ihrer Aufgabe.
Die Betrachtung der Arbeiten, die den Eintritt in diese Malerschule
rechtfertigen sollten, entlockte Henner die Bemerkung: «Ich weiß nicht
was Sie bei uns lernen wollen, Sie haben ja Ihren Stil, der nicht der
meinige zu sein braucht, um gut zu sein, aber wenn Sie es durchaus wün-
schen, ist unser Atelier für Sie offen.» Rückblickend stellte Roederstein
später die Frage: «Hätte ich meine persönliche Ausdrucksform früher und
anders entwickelt, wenn ich nicht durch diese französische Schule gegan-
gen wäre, wer kann es wissen? Jedenfalls habe ich in Paris viel gelernt
und dem Verkehr mit bedeutenden Künstlern verdanke ich wertvolle
Anregungen.» Sie wurde in Paris mächtig angespornt und erntete mit
ihren Arbeiten reiche Anerkennung. Aus dieser Zeit stammen die Bilder
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