Full text: Marianne von Werefkin 1860-1938, Ottilie W. Roederstein 1859-1937, Hans Brühlmann 1878-1911

Marianne von Werefkin stammt aus dem Moskauer Uradel und wurde 
am 11. September (29. August) 1860 in Tula im Gouverneurspalais ihres 
mütterlichen Großvaters geboren. 
Von ihren Vorfahren hat sie Traditionen und Charakterzüge über- 
nommen, eine aufrechte, gerade Gesinnung, Prinzipien und Lebensanschau- 
ungen, die ihre Haltung anderen Menschen gegenüber bestimmten. 
Nach den Schilderungen ihres Bruders war ihre Mutter künstlerisch 
sehr begabt, eine exklusive Natur, von seltener Herzensgüte und großem 
Charme. Sie selbst war eine Schülerin von Professor Neff und hat Por- 
träts und Heiligenbilder gemalt. So lernte auch ihre Tochter früh Kunst 
und Menschen lieben. 
Während eines Aufenthaltes auf dem elterlichen Gut in Litauen fing 
sie an zu malen. Bald zeigten sich ihre wirklichen Fähigkeiten. Ihre Eltern 
ließen ihr ein Atelier im Garten bauen. Von da ab begann sie die Typen 
der dortigen Landbevölkerung zu studieren und schuf mehrere bemerkens- 
werte Bilder. Deshalb sagte sie selbst später oft, Litauen sei «die Wiege» 
ihrer Kunst gewesen. 
Im Jahre 1888 hatte sie auf der Jagd einen schweren Unfall, bei dem 
ihre rechte Hand verletzt wurde, was sie vorübergehend zum Malen un- 
fähig machte. Zu dieser Zeit, nach dem Tode ihrer Mutter, siedelte ihr 
Vater nach Petersburg über, und von da ab datiert ihre Bekanntschaft mit 
Repin, welcher sich sehr für ihre Arbeiten interessierte und ihr Porträt 
malte. 
Sobald ihre Hand geheilt war, fing Marianne von Werefkin an, mit 
verdoppelter Energie zu arbeiten, von Repin geleitet. Im Jahre 1893 malte 
sie ihren «Litauer». welcher auf der Wanderausstellung der russischen 
Künstler großen Erfolg hatte und ihren Namen bekannt machte. Repin 
telegraphierte ihr und schrieb: «Bravo, bravo! Marianne Wladimirowna. 
Ich war einfach überrascht von diesem Litauer in der Mütze. Wie er 
gezeichnet ist, wie der Ausdruck ausgehalten ist! Welche Modellierung 
der Lippen! des Kinnes! welch ein wundervoller Ton! ... Es ist einfach 
ein Werk von Velazquez! Ich habe Sie beneidet, so die Lippen, die Augen, 
die Wangen zu malen! Diese Etude übertrifft die andern, es ist ein chef- 
d’osuvre!!!» 
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