Seitdem, 1909, der italienische Dichter F. T. Marinetti in dem Gedichtbuch
«Les Mots en Liberte Futuristes» gegen die — wie er es nannte -— «typographische
Harmonie der Buchseite» als erster losgezogen war, hat jede folgende Bewegung
das ihre dazu beigetragen, die Starrheit des Buches zu lockern.
Le Corbusier oder Ozenfant gehen nicht von der Typographie des Buches
aus. Sie interessiert die Raumordnung und das graphische Bild.
Wie Le Corbusier darauf ausging, den Grundriß der Häuser beweglich
zu machen und Luft in die Häuser zu bringen, so zersägt er auch im innern Auf-
bau den steifen Rahmen des üblichen Buches. Ohne monumental zu werden,
arbeitet er in freier Weise mit der Verteilung von Weiß und Schwarz auf einer
Druckseite. Dazu kommt, was er von den Collagen des Kubismus gelernt hat:
die Lebhaftigkeit im Wechsel der Struktur. Das heißt: ein Herbeiziehen von
Handskizzen, Zeitungsausschnitten, Photos, Katalogseiten als Mittel Gedanken
sinnlich vorzuführen.
Architektur
Reinigung, das ist nicht nur das Losungswort der Puristen. Reinigung von
Begriffen, die zu falschen Fassaden geworden waren und zur Weltflucht geführt
hatten, das verlangten alle fruchtbaren Bewegungen jener Zeit.
Auch die Architektur verlangte Reinigung, und sie wählte dazu den ehr-
lichsten Weg: Reinen Zweck, reine Funktion! Kein noch so scharfes und schein-
bar beschränktes Wort, ist zurückzunehmen, das in jenem Sinn geäußert wurde.
Man kann Läuterungen nicht mit Aesthetik beginnen.
Aber das Leben der neuen Architektur wäre von kurzer Dauer, wenn sie aus-
schließlich zweckbedingt wäre, und so nur vom Common sense aus erreichbar.
Der Maler Jeanneret existiert, ehe der Architekt Le Corbusier seine
Form findet. Das ist nicht zufällig und nicht ein Einzelfall. Seit Leonardo
die Raumformen der Renaissancekirchen auf einem Blatt skizzierte, ehe sie
Realität wurden, läßt sich dieser Vorgang immer wieder bis heute nachweisen.
Gerade bei der neuen Architektur kann man es bis in alle Einzelheiten fest-
legen, daß sie ihre einheitliche“ Sprache erst gefunden hat, nachdem die neue
Malerei entstanden war: Wer zur heutigen‘ Malerei kein inneres Verhältnis
gewinnen kann, der hat im Grunde auch für Architektur kein Verhältnis!
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