Die künstlerische Situation
Jedes Neue begegnet dem menschlichen Bestreben,
es durch das Alte zu sehen und zu verstehen, ja, all zu oft
wollen wir das Unbekannte nur als Bestätigung dessen,
was wir zu kennen glauben. Vor dem Urteil steht stets
das Vor-Urteil, und von dem Unbestimmten, das zu uns
kommen soll, erwarten wir etwas zum voraus Bestimmtes.
So mag es sein, daß auch von einer Ausstellung, die
neues bringt und etwas neues ist, manches erwartet und
verlangt wird, das sie nicht geben kann, und damit sich
empfehlen, nicht nur von außen an sie heranzutreten,
sondern gleichzeitig von innen her nach außen ihren
Sinn und Gehalt abzugrenzen.
Die Ausstellung der Maitres populaires zeigt nicht
den Wettlauf von Malern nach bekannten, von Kon-
ventionen unserer Zeit gesteckten Zielen. Sie sieht volks-
tümliche Kunst nicht als „naiv“ oder „primitiv“ im Sinn
von Unvollkommenem, auf dem Weg nach solchen Zielen
zurück gebliebenem oder absichtlich zurück gehaltenem.
Auch die „Natursprache“ ist ihr nicht eine, vor höheren
Ansprüchen Halt machende, Konvention, sondern die
nach der Natur des einzelnen in ernster Lebensarbeit
geformte und durchgebildete persönliche Ausdrucks-
weise. Kunst von der Art der Maitres populaires ist
nicht eine Reaktion dieser Maler gegen eine andere Art
von Kunst, sie lebt zu allen Zeiten aus eigener Kraft
in ihrem eigenen Bezirk. Nur die derzeitige besondere
Empfänglichkeit mancher Menschen für sie ist Reaktion
auf Übermüdung an andern Formen der Malerei. Die
Maitres populaires bedeuten keine neue Richtung, Schule
oder Gruppe, sie kennen einander nicht und gehören
verschiedenen Zeiten und Kreisen an. Die Vertiefung
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