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Das Wandbild kann auf der Wand, als einer passiven, für
sich selbst und für das Bild bestehenden, zufällig begrenzten
Fläche, herrschen, wie die Illustration auf dem Pergament» oder
Papierblatt des Buches; oder dienen, als farbige Erhöhung der
nach künstlerischen Gesetzen gegliederten und eigenkünstlerisch
wirkenden Architektur.
Innerhalb dieser Pendelschwingung liegt neben der funk:
tionellen auch ein gutes Teil der formalen Spannweite der Wand-
malerei; gleichzeitig für den Betrachter der stufenreiche Weg
zwischen Lesen und Schauen. Die Erfüllung ist in der Mitte,
wo das Wandbild als gutes Kleid eines gesunden Körpers nichts
anderes betont und frei macht, als was in der formalen Ord:
nung und im innern Zweck des Baues steckt, dem es verbun-
den ist. Wie dicht diese Bekleidung sich über den Körper legt,
als deckende Haut, feierliche Drapierung oder lockerer Schmuck,
steht bei dem besonderen Anlaß und auch bei der Zeit, die die
Aufgabe stellt.
Nahe ans Grenzenlose, wie Menschentum und Menschheit,
reicht die Wandmalerei zeitlich und geographisch; verschieden
von dem viel jüngeren Tafelbild, das ebenso sehr die Blüte einer
bestimmten Zivilisation'und äußerer Lebensformen, wie der Kultur
als zeitlosen inneren Lebens ist. Im Morgenland und Abendland,
beginnend schon in Zeiten, die um ein vielfaches jenseit des An-
fangs unserer Zeitrechnung als wir mit unseren Tagen diesseit
liegen, in Indien, Mesopotamien, Aegypten, in weiten Regionen
auch der neuen Welt, in Griechenland, Italien und allen Teilen
von Europa bedecken Bilder die Wände von Höhlen, Totenstädten,
Tempeln, Palästen, Domen, Burgen, Kirchen, Kapellen, Ratsälen,
Tortürmen, Bürgerhäusern.