Zum Geleit
von Oskar Schlemmer
Es war ein schöner Gedanke der Kunsthausleitung, das
Werk des lieben und grossen Toten jetzt, zur Weihnachts-
zeit, zu sammeln und möglichst vollzählig zur Ausstellung
zu bringen. Das Fest des Christ, das Licht, die Tannen
stimmen gut zu seinem Geist und Schaffen, aber schmerz-
lich müssen wir uns zugleich erinnern, dass sich der Tag
bald jährt, der des Künstlers Leidenszeit beendete, eine
Lebenszeit von knapp 48 Jahren, deren Hälfte seinem
eigentlichen künstlerischen Schaffen galt. Die Arbeit die-
ser Zeit liegt nun vor uns ausgebreitet und erstmals
werden wir inne, wie sie, die oft kärglich schien, reich
und vielgestaltig ist. Die Bilder Otto Meyers sind der
eine sichtbare Teil seiner Hinterlassenschaft, der andere
harrt noch der Erschliessung: die Handschrift der unge-
zählten Briefe an die Freunde. Der unsichtbare Nachlass
aber lebt in den Herzen derer, die ihn kannten, und dieser
wird umso unvergesslicher und tiefer sein, je inniger die
Freundschaft war: erst sie erschloss das reiche Innere. Da
Leben und Kunst dieses seltenen Menschen sich in vor-
bildlicher Reinheit abspielten, sein künstlerisches Gewis-
sen sich immerwährend die höchsten Forderungen stellte,
so ist der Kreis derer, die zu sagen vermögen, ihn in
seinen letzten,geheimsten Zielen ganz verstanden zuhaben,
klein und auch die Ursache des anscheinend unabänder-
lichen Schicksals, dass Künstler und Werk ins Dunkel ver-
bannt bleiben, solange sie den Begriffen und dem Fassungs-
vermögen der Zeitgenossen nicht unmittelbar zugänglich
sind. Das so gar nicht Laute, das bewusst Verhaltene der
Darstellungsweise, das beunruhigende Ahnen einer Idee,
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