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KUNSTHAUS ZURICH APRIL/MAT 1933
Wie es fiir die kleine Schweiz auf ihrem Hochsitz in der Mitte Europas gemäß und notwendig
ist, wahrt sie sich Kenntnis und organische Verbindung mit dem Leben in den großen Ländern,
zu dem sie, wo nicht in geradliniger Abhängigkeit, so doch stets in irgend einer Beziehung mittel-
barer Aufnahme oder Abwehr steht. Dies gilt für Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst. Sie ver-
schließt ihre aufmerksame Anteilnahme auch nicht Erscheinungen, die auf ihrem Boden nie entstehen
würden und für die er bei einfacher Überpflanzung nie fruchtbar werden könnte, während ın sinn-
gemäßer Übersetzung und Assimilierung davon doch manches gewollt oder unbewußt in ihren eigenen
Lebensstrom übergeht
Die Lebensform der Großstadt, die heute noch nicht die natürliche Beziehung zum offenen Land
gefunden hat, das sie einstweilen wie ein Eroberer noch durch «Kolonisierung» sich unterwirft, hat
für die Schweiz so weit Bedeutung, als ihre Städte sich der Form der Großstadt nähern. Als Land
ist sie schon durch Jahrhunderte nie mehr ein Bauernland gewesen als die großen Nachbarstaaten
und ist es heute weniger als ihrer irgend einer. Das 20. Jahrhundert hat Europa die Großstadtkunst
gebracht, aus jenem Lebenskreis, wo Mensch und Menschenwerk mehr gelten als die ruhenden Dinge
und die selbstzeugende Natur; aus welchem alle andern Geschöpfe und die Natur schon längst ent-
wichen sind, so daß der Mensch in Versuchung und Zwang gerät, wenn er sich nicht aufgeben will,
selbst Schöpfer, seine künstlerische Welt statt aus beschaulicher Betrachtung allein aus seinem aktıven
Willen und Geist zu bilden.
Die neue «kubistische» oder «abstrakte» oder «ungegenständliche» Kunst, von keinem dieser
nicht gleichbedeutenden Begriffe voll umschrieben und gefaßt, und während der Betrachtung in nicht
ganz drei Jahrzehnten zwischen ihnen schwebend und sich wandelnd, erhebt sich nach 1905 als heftige
Bewegung, von vielen Namenlosen mit gleichem Streben doch mit ungleicher Kraft und ın un-
oleichem Schritt gestützt. Sie entfaltet und verengt, vertieft sich und verflacht wieder neben dem
volleren und beharrlicheren Strom der das 19. Jahrhundert ungebrochen weiterführenden Tradition;
mit sicher vorhandener, aber vorerst wenig augenfälliger Wechselwirkung. Mit dem Ablauf der ıhr
verbundenen Menschenleben zeigt es sich, welche Persönlichkeiten aus ungestümen Führern zu reprä-
sentativen Trägern werden, und welche eine kurze zeitliche Mission erfüllen. Die Schweiz ist an der
Entfesselung und ersten Entwicklung der Bewegung nur damit beteiligt, daß einige Schweizer Sammler
ihr schon sehr früh Beachtung schenkten und Werke ihrer Vertreter erwarben. In den letzten Jahren
hat die Anteilnahme sich auf weitere Kreise ausgedehnt.
In der internationalen Ausstellung neuer zeitgenössischer Kunst von 1925. der ersten, die nach
der Katastrophe des Krieges irgendwo wieder gewagt wurde, brachte das Zürcher Kunsthaus inmitten
von dreißig andern auf ihre Art modernen Malern und Bildhauern gewichtige Vertretungen von
Braque, Gleizes, Kandinsky, Leger, Picasso. 1929 veranstaltete es die Ausstellung abstrakter und sur-
realistischer Malerei und Plastik mit 150 Werken von 40 Künstlern und bot damit eine Gesamtdar-
stellung der Bewegung in ihrem Kern und den neueren Verästelungen. 1931 brachte die große zür-
cherische Plastik-Ausstellung neben einer Reihe stark kubistisch beeinflußter auch eine Gruppe «ab-
strakt» gestaltender Bildhauer. Der für 1932 gefaßte Plan einer Dreierausstellung Picasso / Braque
/ Léger spaltete sich in eine groBe Sonderausstellung Picasso 1932 für Zürich und je eine Ausstellung
Braque für Basel, und Léger / Gris für Zürich, im Jahre 1933. Braque füllt mit 180 Werken seit An-
fang April bis Mitte Mai die Basler Kunsthalle. Die Ausstellung Léger / Gris ist im Zürcher Kunst-
haus noch einmal geteilt worden mit ‘der zeitlichen und numerischen Gliederung wie die nachfolgenden
Verzeichnisse sie aufweisen.