3
VORWORT
VON CARL EINSTEIN
D ie Skulpturen der Fleehtheimschen Sammlung entstammen
den früheren deutschen Kolonien, dem Bismarck-Ar
chipel — nämlich Deutsch-Neu-Guinea, Neu-Pommern, (Neu-
Britannien), Neu-Mecklenburg (Neu-Irland) und Neu-Hannover.
Diese Kunstwerke entstanden inmitten einer Steinkultur.
Man bedient sich der Steinäxte, der Messer und Dolche aus
Knochen, Obsidian oder Muscheln. Erklärlich, daß mit dem
furchtbaren Schock der Kolonisation, der plötzlich eingeführten
europäischen Kultur und dem völligen Unterwühlen der geistigen
und religiösen Zustände diese Kunst, die vor allem religiösen
Zwecken diente, dahinschwand.
Nichts vermag kräftiger entwicklerischen Aberglauben zu
widerlegen, als die Tatsache, daß bei zweifellos verbesserten
Lebensbedingungen und vollkommneren Werkzeugen die Reste
vorhandener Kultur erschreckend rasch entarteten und weg
schwanden.
Die Eingeborenen des Bismarck-Archipels leben umgeben
von magischen Kräften und Dämonen. Ihre gesellschaftliche
Form ist das Matriarchat, d. h. die Blutlinie der Mutter gilt»
Wie anderwärts entspricht auch hier dem Mutterrecht die Exo-
gamie, d. h. niemand darf sich mit einer Frau von gleichem
Clan oder Totem verbinden. Der Totem überwiegt die Indi
vidualbedeutung, und dank jenem und umgebenden Kräften
etwa ist der Mensch dies zauberausstrahlende Wesen. Vielleicht
erhofft man durch Verbindung mit dem anderen Totemtier
(Heirat) Zuwachs an magischen Kräften. Wir glauben weniger
an trotz allem biologisch moralisierende Inzesttheorien.
Das Totemzeichen der Mutter geht im allgemeinen auf die
Kinder über. Wie die Gesellschaft so sind Natur, Ahnengeister
und dämonische Kräfte totemistisch geteilt, und die dauernde
Differenzierung und Vermehrung der Dämonen führt zu einem
religiösen und seelischen Sichzersplittern, dem eine Unfähig
keit, grössere Stammgemeinschaften zu bilden, meist entspricht.