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die den künstlerischen und produktiven
Mensdien erstickt. So wie der knat
ternde Rhythmus des Motors in den
Straßen die menschliche Stimme über-
sdireit, so ist es die Gleichmäßigkeit
des Lebens, der Moral und der Bildung
des durchschnittlichen Mensdien, die die
Kunst zum Verenden bringt.“
Das ist auch gesagt worden, aber was
helfen Worte in dieser Zeit, und wären
es die stärksten, beseeltesten und wahr
sten. Alle Prognosen, die der Dadais
mus gestellt hat, haben sich erfüllt, eine
der auffälligsten erscheint mir heute
noch die Jazzmusik.
Wir nannten das damals etwas hoch
trabend „Sinfonie der Geräusche“, aber
es war nichts anderes als das, was heute
in technisch hödister Form sidi als Jazz
musik präsentiert. Ich sehe mich nodi,
wie ich in der „Sezession“ am Kurfür
stendamm meine Gedichte mit Kinder
knarre und Topfdeckel begleitete. Je
mand, der viel erlebt haben wollte,
stand auf, verhüllte sein Angesicht und
ging hinaus.
Lind doch war er ein der Wahrheit
verschlossener Mensch, als er hinaus
ging. Durch die Kinderknarren-Beglei-
tung der Verse wurde einmal gesagt,
daß zarte Lyrik in unserer Zeit der
Wolkenkratzer keine Bedeutung mehr
hat. Will jemand dem ernstlich wider
sprechen?
Und dann wurde gesagt, daß an
Stelle der Melodie der Verse der
trockene Knarrlaut der Geräusche sich
siegreich durchsetzen wird.
Es war die Geburtsstunde der Jazz
musik — unabhängig von Paul Whit-
man und den anderen Größen der
neuen Welt.
Noch kürzlich hat sich George Grosz
in einer glänzenden Rede für den Da
daismus eingesetzt, die Literaturge
schichten beginnen hinter die Fassade
des Ulkes zu sehen, wir werden lang
sam Klassiker.
Der Dadaist als Klassiker-Thema für
einen großen Komödienschreiber (der
in Deutschland noch nicht geboren
wurde). Wir alten Dadaisten aber sind
welterfahren genug, um uns mit allem
abzufinclen, selbst mit unserer posthu
men Glorifizierung. Warum auch nicht?
Auch Schiller, glauben wir, hätte durch
eine Querlage in den Dadaismus hin
einrutschen können.
Aus Dadas Absicht, den Spieler zu ärgern, entstand die sachliche Karikatur unserer
Zeit, die mit ihrem kärglichen Strich ihr Objekt bösartig und grausam sesiert.