EINE NEUE MONET-WAND
Die «alte» Monet-Wand im Kunsthaus gibt es nun schon
seit 45 Jahren: sie vermittelte wohl nicht nur dem Schrei-
senden dieser Zeilen den ersten ästhetischen Schock im
Zürcher Museum. Damals befanden sich die beiden gros-
sen Seerosen-Panneaux im jetzigen Hodler-Saal vereint
nit dem nun an der Zollikerstrasse zu besichtigenden drit-
en, alle drei auf Anregung von Rene Wehrli erworben
and von Emil Bührle finanziert. Später erhielten sie ihren
eigenen, von Bruno Giacometti erbauten Raum, etwas
abseits und leicht zu übersehen; man betritt ihn von
oben, so dass man zunächst auf den Seerosen-Teich hin-
ınterblickt, wie Monet es sich wünschte. Erst wenn man
die kurze Treppe hinuntergestiegen ist, fällt hinten links
die «neue» Monet-Wand ins Auge, auf der neben dem Heu-
haufen drei zauberhafte Bilder von London und Venedig
hängen, Mittelpunkt der grossartigen Schenkung von
Walter Haefner!: vier Gemälde, die zu einer erstaunlich
sinheitlichen Komposition voll innerer Bezüge zusam-
mentreten. Obwohl ihre Entstehungsdaten einen Zeit-
raum von über zwanzig Jahren umfasst, empfindet man
sie unmittelbar als gleichartig, der selben, sehr eigenen
Sorte zugehörig.
Man sieht vier Landschaftsgemälde, aber nicht wie
üblich Felder, Bäume, Hügel: es handelt sich offensicht-
lich nicht darum, den Betrachter zu einem Spaziergang
ins Bild einzuladen oder ihm bestimmte topographische
Informationen zu übermitteln. Auf der Leinwand ganz
links wird der Blick durch einen riesigen Heuhaufen so
blockiert, dass von seiner Umgebung kaum mehr viel zu
sehen ist; eine weitere lässt nur mit genauer Not eine
3rücke im Nebel ahnen. Wenn wir nicht aus der Lebens-
geschichte Monets wüssten, dass dies die Waterloo Bridge
in London ist und jener Kornschober hinter seinem Haus
in Giverny stand, wäre die Lokalisierung rein unmöglich.
Auf den anderen beiden Werken erscheinen allerdings
zwei der berühmtesten Gebäude überhaupt; doch der
Dogenpalast flimmert dermassen im gleissenden Sonnen-
licht, während das Londoner Parlamentsgebäude als Sil-
houette im Nebel verschwimmt, dass die Monumente
eben gerade noch identifizierbar bleiben und keinerlei
Details erkennen lassen.
Man sieht also vielmehr Farben — Blau, Lila, Rosa,
Orange vor allem - in geometrischen Grundformen ange-
glichenen Flächen - Rechtecke, Trapeze, Dreiecke. Sie glie-
dern und gestalten das Bild unabhängig von ihrer darstel-
lenden Funktion: der Quai im Vordergrund wird wichtiger
als der Dogenpalast, der Lichtreflex auf der Themse zum
YHauptgegenstand. Die plastische Energie der Dinge ist wie
aufgehoben; selbst an dem doch monumental nahen
Zylinder und Kegel des Heuhaufens gibt es keine Model-
lierung; Monet rückt ihn ins Gegenlicht und die Trennlinie
zwischen Ober- und Unterteil genau auf Augenhöhe, um
die Angaben von rundenden Schatten und sich wölbenden
Linien zu vermeiden. Überdies wird im Zürcher Bild - und
nur in diesem - der Schober oben vom Rahmen über-
schnitten und so der Gegenstand fragmentiert; es erstaunt
deshalb nicht, dass Kandinsky, als er dieses Gemälde in
siner Ausstellung in Moskau sah, zunächst das dargestellte
Motiv nicht erkennen konnte, ein fundamentaler Augen-
blick auf dem Weg zur abstrakten Kunst:
«Zu derselben Zeit erlebte ich zwei Ereignisse, die
einen Stempel auf mein ganzes Leben drückten und mich
damals bis in den Grund erschütterten. Das war die fran-
zösische impressionistische Ausstellung in Moskau —- in
erster Linie «der Heuhaufen» von Claude Monet —- und
eine Wagneraufführung im Hoftheater - Lohengrin.
Vorher kannte ich nur die realistische Kunst, eigentlich
ausschliesslich die Russen, blieb oft lange vor der Hand
des Franz Liszt auf dem Porträt von Repin stehen u. dgl.
Und plötzlich zum erstenmal sah ich ein Bild. Dass das
ein Heuhaufen war, belehrte mich der Katalog. Erkennen
konnte ich ihn nicht. Dieses Nichterkennen war mir pein-
lich. Ich fand auch, dass der Maler kein Recht hat, so
undeutlich zu malen. Ich empfand dumpf; dass der
Gegenstand in diesem Bild fehlt. Und merkte mit Erstau-
nen und Verwirrung, dass das Bild nicht nur packt, son-