Volltext: Jahresbericht 2008 (2008)

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gibt einen Schlüssel zum popkulturellen Kontext an die 
Hand. Während Gertschs berühmte Einzel-, Doppel- 
und Gruppenporträts aus den frühen Siebzigerjahren, 
z.B. «Luciano und Franz», 1973, in der Sammlung 
des Kunsthauses, den Lebensstil einer jugendlichen 
Bohème fotografisch detailliert und mit einer grossen 
Faszination für das Det ail nachzeichnen, erscheint also 
das Interesse am Sujet hier eher peripher und wenig 
präzis. Eine Werbeaufnahme einer Schlagersängerin 
wird reduziert auf die einfachste Chiffre: «attraktive 
Frau und schnelles Auto». Dasist alles, was Gertsch 
an Aussage stehen lässt, die Vorlage könnte ebenso 
gutvoneiner Zigarettenwerbung oder aus einer Motor- 
sportzeitschrift stammen. 
Insofern können wir hier wohl, was die konzeptu- 
elle Seite dieser Malerei angeht, nur unter Vorbehalt 
vonPopArtsprechen.GewisswarPopabMitteder 
Sechzigerjahre auch in Bern, wo Gertsch lebte und 
arbeitete, längst bekannt. Im Frühsommer 1966 hatte 
die Kunsthalle Bern zum einen James Rosenquists 
monumentalen Fries «F-111» und zum andern die 
Philip-Morris-Edition «11 Pop Artists: the New Image» 
gezeigt,woder gesamtekanonische Kreis von US-Pop- 
Künstlern vertreten war. Aber die schablonenhafte, flä- 
chige, geometrische Malform mit scharfen Kanten und 
Konturen, emotionslos und rational gesteuert, ohne 
individuelle Pinselspuren sowie die sparsamst kalku- 
lierte Reduktion der Farben auf ei nige wenige kontras- 
tierendeTöne–alldiesweistineineandereRichtung: 
Dies sind viel eher die typischen Stilmerkmale jener 
Richtung oder Schule, die unter dem Namen «Hard- 
Edge (Painting)» von Ende der Fünfzigerjahre bis Ende 
der Sechzigerjahre (allerdings in der Regel unter Ver- 
zicht auf jede Figuration) international Furore mach- 
te (Al Held, Frank Stella, Ellsworth Kelly). Zumindest 
ebensosehrwiemitderderPopArtscheintsichhier 
Gertsch also mit dieser hartkantigen Farbflächen- 
malerei der Sechzigerjahre auseinanderzusetzen. In 
gewisser Weise markiert das Gemälde insofern werk- 
und kunsthistorisch die Überquerung einer Furt: Sich 
aus einer malerischen Tradition befreiend, die via die 
späten Collagen von Matisse auf noch frühere Abs- 
traktionsmodelle europäischer moderner Malerei 
zurückverweist, überquert Gertsch den Strom der Pop 
Art gewissermassen nurenpassant,umsichdannab 
1969 der hyperrealistischen Umsetzung fotografischer 
Vorlagen zuzuwenden. Tobia Bezzola 
Literatur: 
Samuel Vitali: Gertsch vor Gertsch oder: Der lange 
WegaufdenMonteLema.DasFrühwerkvor1969– 
eine Bestandesaufnahme, in: Franz Gertsch. Die Ret- 
rospektive, Ausst.-Kat. Museum Franz Gertsch/Kunst- 
museumBern,2005,s.bes.S.49–54. 
Angelika Affentranger-Kirchrath: Franz Gertsch. 
DieMagiedesRealen,Bern2004,S.27–30. Ich danke Franz Gertsch für seine Auskünfte.
	        
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