OSCAR BONY
LA FAMILIA OBRERA, 1968; 1999
Am 8. Mai 1968 eröffne te das Centro de Artes Visuales des
Instituto Torcuato Di Tella in B uenos Aires eine Gruppenausstel-
lung unter dem Titel «Experiencias ’68». In dieser skandalbehaf-
teten Ausstellung wurden die bisherigen Grenzen des Kunstwerk-
begriffs regelrecht gesprengt. Nach gerade einmal vierzehn
Tagen wurde eines der Werke polizeilich verboten, woraufhin die
anderen teilnehmenden Künstler aus Solidarität ihre Arbeiten
entfernten oder gar vor den Augen der Öffentlichkeit zerstörten.
Auch der Argentinier Oscar Bony (1941–2002) gehörte zu den ge-
gen diese Zensur protestierenden
Künstlern.1
Sein Werk war
zwar geduldet worden, aber in seine r Aussage nicht mi nder pro-
vokant. Es b estand darin, dass ein Ehepaar mit Sohn während der
Öffnungszeiten auf einem Sockel ausgestellt war. Auf dem Po dest
stand folgender Text: «Luis Ricardo Rodríguez, von Beruf Druck-
g iesser , verdient doppelt so viel wie in s einer regulären Beschäf-
tigung, indem er zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn
während der Dauer der Ausstellung präsentiert wird.» Begleitend
dazu hörte man eine A ufzei chnung der Geräusche aus dem Haus-
halt jener Familie.
Nach zweijähriger Militärregierung und zunehmender Re-
pressionen im Lande prangerte Bony mit «La fami lia o brera» die
sich abzeichnenden verheerenden Auswirkungen auf die Arbei-
terklasse an, deren Lohnniveau drastisch gesunk en war. Dass ein
Arbeiter das Doppelte als sein übliches Gehalt damit verdiente,
nichts zu tun bzw. sich zusammen mit seiner Familie ausstellen
zu lassen, empörte das Publikum, das sich aus Bourgeoisie und
Mittelschicht zusammensetzte. Das dadurch evozierte ethische
Unbehagen stand nach späteren Aussagen Bonys für ihn fast
mehr im Vordergrund als die politische Bri sanz selbst. Zum ande-
ren ging es dem K ünstler um die Entmaterialisierung des K unst-
werks. Statt die Szene bildlich oder skulptural umzuset zen, liess
er reale Menschen den Part spielen, um beim Betrachter eine eine