Volltext: Jahresbericht 2018 (2018)

OSCAR BONY 
LA FAMILIA OBRERA, 1968; 1999 
Am 8. Mai 1968 eröffne te das Centro de Artes Visuales des 
Instituto Torcuato Di Tella in B uenos Aires eine Gruppenausstel- 
lung unter dem Titel «Experiencias ’68». In dieser skandalbehaf- 
teten Ausstellung wurden die bisherigen Grenzen des Kunstwerk- 
begriffs regelrecht gesprengt. Nach gerade einmal vierzehn 
Tagen wurde eines der Werke polizeilich verboten, woraufhin die 
anderen teilnehmenden Künstler aus Solidarität ihre Arbeiten 
entfernten oder gar vor den Augen der Öffentlichkeit zerstörten. 
Auch der Argentinier Oscar Bony (1941–2002) gehörte zu den ge- 
gen diese Zensur protestierenden 
Künstlern.1 
Sein Werk war 
zwar geduldet worden, aber in seine r Aussage nicht mi nder pro- 
vokant. Es b estand darin, dass ein Ehepaar mit Sohn während der 
Öffnungszeiten auf einem Sockel ausgestellt war. Auf dem Po dest 
stand folgender Text: «Luis Ricardo Rodríguez, von Beruf Druck- 
g iesser , verdient doppelt so viel wie in s einer regulären Beschäf- 
tigung, indem er zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn 
während der Dauer der Ausstellung präsentiert wird.» Begleitend 
dazu hörte man eine A ufzei chnung der Geräusche aus dem Haus- 
halt jener Familie. 
Nach zweijähriger Militärregierung und zunehmender Re- 
pressionen im Lande prangerte Bony mit «La fami lia o brera» die 
sich abzeichnenden verheerenden Auswirkungen auf die Arbei- 
terklasse an, deren Lohnniveau drastisch gesunk en war. Dass ein 
Arbeiter das Doppelte als sein übliches Gehalt damit verdiente, 
nichts zu tun bzw. sich zusammen mit seiner Familie ausstellen 
zu lassen, empörte das Publikum, das sich aus Bourgeoisie und 
Mittelschicht zusammensetzte. Das dadurch evozierte ethische 
Unbehagen stand nach späteren Aussagen Bonys für ihn fast 
mehr im Vordergrund als die politische Bri sanz selbst. Zum ande- 
ren ging es dem K ünstler um die Entmaterialisierung des K unst- 
werks. Statt die Szene bildlich oder skulptural umzuset zen, liess 
er reale Menschen den Part spielen, um beim Betrachter eine eine
	        
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